Die Lüge
du kannst nicht von mir erwarten, dass ich Kemmerling rumfummeln lasse. Der Freak bringt es fertig und packt mir die Festplatte zu einem Bouillonwürfel.»
Er grinste flüchtig, stopfte sich den Rest vom Toast in den Mund und die Gewürzgurke hinterher. Dann stieß er sich vom Türrahmen ab und kam näher. «Wenn du was gesagt hättest, hätte ich nicht gefragt.»
Mit Nadias Worten im Hinterkopf behauptete sie nachdrücklich: «Entschuldige, aber das habe ich dir schon tausendmal gesagt.»
«Siebenmal in den letzten fünf Monaten. Ich hab mitgezählt.»
Sie nahm an, dass sie immer noch über Kemmerling sprachen. «Fein, dann solltest du eigentlich wissen, dass es mir ernst ist.»
«Oh, das weiß ich», beteuerte er. «Ich hoffe nur, dass du diesmal länger als einen Tag durchhältst.»
Sie kam nicht dazu, sich den Kopf zu zerbrechen, was er meinen könnte. Er steuerte die Toilette an, klappte mit einer Hand Deckel und Sitz hoch, öffnete mit der anderen Hand seine Hose und griff hinein. Mit sehr viel Selbstbeherrschung schaffte sie es, weiter in sein Gesicht zu schauen und nicht wie hypnotisiert auf das, was er in der Hand hielt. Die Ungezwungenheit seines Vorgehens sprach für große Vertrautheit in seiner Ehe und lieferte ihr den besten Beweis, dass ihm bisher nicht der geringste Verdacht gekommen war, nicht seine Frau vor sich zu haben.
Er schaute zur Wanne, ließ mit einem undefinierbaren Lächeln den Blick über das Wasser und damit über ihren Körper gleiten. Sie lag da wie auf einem Präsentierteller. Das war ihr sehr wohl bewusst. Er sieht Nadia, dachte sie wie eine Beschwörungsformel.Dann fiel ihr ein, dass sie die Tampons nicht aus dem Schrank genommen hatte.
Die Toilettenspülung rauschte, er trat an eines der Waschbecken und wusch sich die Hände. Auch dabei ließ er die Augen in einem der Spiegel mit diesem sonderbaren Lächeln an ihr hinauf und hinunter wandern. Sie fühlte sich wie abgetastet. Als Nächstes putzte er sich die Zähne und nahm dazu wie erwartet den blauen Bürstenkopf. Dass der erst kurz zuvor benutzt worden war, schien ihm nicht aufzufallen.
Dann kam er zu ihr, setzte sich auf die obere Stufe vor der Wanne, tauchte eine Hand ins Wasser und plätscherte ein wenig. «Soll ich dir noch ein bisschen Gesellschaft leisten?»
«Nein», sagte sie rasch. «Ich wollte gerade rauskommen. Ich habe immer noch Kopfschmerzen.»
Von dieser Behauptung ließ er sich nicht aus dem Konzept bringen. Mit einer zärtlichen Geste strich er ihr eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn und lächelte. «Das hatte ich gehofft. Aber jetzt bin ich ja da. Komm raus.»
Sie dachte nicht daran, aus der Wanne zu steigen, solange er sich in ihrer Nähe aufhielt. «Ein paar Minuten möchte ich noch liegen bleiben. Es tut meinem Rücken gut.»
Er schmunzelte verstehend. «Was denn, Rückenschmerzen hast du auch? Soll ich dich massieren?»
Ein verlockendes Angebot. Zu Lebzeiten ihrer Schwiegermutter war sie manchmal in den Genuss ärztlich verordneter Massagen gekommen. Trotzdem schüttelte sie den Kopf und sagte: «Danke. Das ist nicht nötig.»
Er griff nach ihrer Schulter und presste die Finger in ihren verspannten Nacken. «Wirklich nicht? Ich gebe mir auch besonders viel Mühe und garantiere dir, dass du in der nächsten halben Stunde nicht an eine Zigarette denkst.»
Sie hatte nicht nur die Tampons vergessen. Bei seinem kurzen Aufenthalt am Nachmittag schien ihm ihre Enthaltsamkeitnicht aufgefallen zu sein. Nun hatte er anscheinend die blitzblanken Aschenbecher bemerkt und seine Schlüsse daraus gezogen.
Starke Raucher wurden nervös, wenn sie verzichten mussten. Sie wurden aufbrausend, ungerecht und unberechenbar. Das hatte sie bei ihrem Vater erlebt, wenn er auf ärztlichen Befehl seine Gier zügeln musste. Da war nichts mit Sanftmut und Geduld gewesen. Da hatte es mehr als ein herbes Nein auf harmlose Bitten gegeben. Michael hatte wohl die gleichen Erfahrungen gemacht und schien gewillt, ihr sonderbares Verhalten und ihre Ablehnung unter diesem Aspekt zu beurteilen und zu verzeihen.
Der Druck seiner Finger in ihrem Nacken war keineswegs unangenehm. Wären die Hemmungen nicht gewesen, das verheerende Wissen, nicht zu sein, was er zu sehen glaubte, sie hätte es genießen können.
«Du bist ja wirklich total verspannt», stellte er fest. «Na los, raus mit dir, ehe du schrumplig wirst. Ich hole dir ein Tuch.» Ehe sie widersprechen konnte, war er verschwunden und sofort zurück mit einem großen
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