Die Lüge
Achseln. «Na schön, wenn es schief geht, ist das dein Problem.»
«Richtig», sagte Nadia. «Aber es wird nicht schief gehen. Wir treffen uns am Montag um vier im Parkhaus. Dann besprechen wir die Einzelheiten. Macht es dir etwas aus, mit dem Bus in die Stadt zu fahren?»
«Überhaupt nichts», sagte sie und fühlte grenzenlose Erleichterung, sich nicht länger mit Nadias Anblick und den wirbelnden Gedanken auseinander setzen zu müssen. Nadia stieg ein. Der rote Alfa entfernte sich rasch. Sie stand noch einen Moment reglos da. Dann ging sie zur Bushaltestelle.
Mittwoch! Dass sie ihn so schnell wieder sehen sollte. Wenn nichts dazwischenkam! Sie verbot sich jeden Gedanken an Nadia und ihn, der vielleicht doch die Nacht und die Stunden am Nachmittag zur Sprache brachte. Sie kannte ihn zu wenig, um das einschätzen zu können.
Eine knappe Stunde später betrat sie ihre Wohnung, nahm Jasmin Topplers Schlüssel und holte ihren Umschlag zurück.Ein erster Reflex war, die Aufzeichnungen zu zerreißen, das tat sie dann doch nicht. Sie legte den Umschlag zu den drei Briefen von Nadia und all den Fotos in den Schrank. Bis um drei in der Nacht saß sie vor dem Fernseher und sah nichts anderes als Michaels Augen, wie er nackt neben dem Bett stand. Wie er sie anlächelte: «Ich halte dich fest.» Hals über Kopf verliebt wie ein Teenager! Dass ihr das noch einmal passierte, hatte sie wirklich nicht erwartet, wo sie doch seit Jahren ganz gut ohne Mann auskam.
Gegen Morgen döste sie auf der Couch ein, träumte sich auf den Waldweg, und Nadia war ahnungslos drei Schritte vor ihr, sah nicht, dass sie die Hand mit einem dicken Knüppel anhob. Kurz nach Mittag beendete der Postbote ihre wüste Graberei. Das Loch im Waldboden wollte einfach nicht tiefer werden. Verwirrt und benommen schlich sie zur Wohnungstür, entrichtete das Nachporto für den dicken Umschlag.
Die Wochenendausgabe der Zeitung mit dem üppigen Stellenmarkt war an diesem Samstag so nebensächlich wie der kräftige Regenschauer, der am späten Nachmittag ihren Balkon überflutete und die Miniküche unter Wasser setzte. Am späten Abend aß sie eine Kleinigkeit, viel Appetit hatte sie nicht. Der Fernseher brachte ein wenig Leben ins Zimmer. Sie hatte die Wahl zwischen einem Familiendrama, einer Musikshow, einer Rateshow und einem Krimi, entschied sich für Letzteren und fühlte Kälte im Innern, während auf dem Bildschirm eine junge Frau durch die Hand ihres Liebhabers starb.
In der Nacht träumte sie davon. Und das Schlimme in dem Traum war: Sie erfuhr erst aus der Tageszeitung, dass Nadias Liebhaber zum Mörder geworden war und Michael Trenkler um seine geliebte Frau trauerte. Sie konnte überhaupt nichts mehr tun, wachte schweißgebadet auf und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren.
Montagmorgen! Halb acht! Noch gute acht Stunden bis zum Parkhaus. Sie frühstückte – nur einen Toast mit Käse, und er schmeckte nach Blut. Das Mittagessen ließ sie ausfallen, sie hätte keinen Bissen hinuntergebracht, fürchtete sich vor sich selbst und vor dem nächsten Gedanken. Kurz nach eins machte sie sich sorgfältig zurecht und verließ die Wohnung. Heller hing in seinem Fenster, als sie aus der Haustür trat. Er brüllte eine Obszönität und spuckte aus, verfehlte sie jedoch. Sie kümmerte sich nicht um ihn, ging zügig Richtung Zentrum, am Parkhaus vorbei, durch zwei Boutiquen, die sie noch vor wenigen Wochen nicht zu betreten gewagt hätte. Und weiter zum Café an der Oper.
Ihr fiel ein, was Ilona Blasting gesagt hatte. «Ein paar Minuten vom ersten Akt.» Bei der Stereoanlage hatten etliche CDs gelegen, die Nadias Musikgeschmack deutlich machten. Dass Michael diesen Geschmack teilte, glaubte sie nicht. «When a man loves a woman.» Es klang ihr noch im Ohr.
Pünktlich um vier war sie am vereinbarten Treffpunkt und durchlebte eine letzte Viertelstunde Höllenqual, dass er mit einem verräterischen Wort die Nacht und den Freitagnachmittag aufgewühlt hatte und Nadia gar nicht erschien. Dann kam der weiße Porsche die Rampe hoch.
Nadia war freundlich wie gewohnt und schlug einen Ausflug ins Grüne vor. Während der Fahrt sprachen sie nicht viel. Michaels Foto klebte am Armaturenbrett. Sie konnte nicht anders, musste es anschauen und fragte erst, als Nadia den Porsche auf dem kleinen Parkplatz beim Waldweg abstellte, wie es denn am Samstagabend bei Jo und Lilo gewesen sei.
«Wir sind nicht gegangen», sagte Nadia, stellte den Motor ab, griff nach
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