Die Lüge
Fahrt zum Flughafen ließ sie sich Zeit. Es herrschte dichter Verkehr auf der Autobahn. Und die notwendige Konzentrationdarauf lenkte sie ein wenig ab von den Fragen, die Michaels letzte Bemerkungen aufgeworfen hatten, auch von den Erkenntnissen, zu denen sie im Laufe des Tages gelangt war. Trotzdem befürchtete sie, bei Nadias Anblick eine große Dummheit zu machen, als sie in den Zubringer zum Flughafen einbog.
In der Kurzparkzone gab es nirgendwo einen freien Platz. Sie ließ den Wagen in der Fahrspur stehen, rannte in die Halle und suchte nach einem Postkasten für den dicken Umschlag. Als sie zurückkam, stand ein verärgerter Fahrer neben dem Alfa. «Was fällt Ihnen ein, sich hier …»
Sie schenkte dem aufgebrachten Mann Nadias hinreißend spöttisches Lächeln. «Nur keine Aufregung, ich bin schon weg.» Wenige Minuten später erreichte sie den vereinbarten Treffpunkt. Und mit einem Mal war alles so einfach.
Nadia wartete bereits, in der rechten Hand eine Zigarette, im Gesicht einen Hauch von Unwillen. Sie brachte den Alfa zum Stehen. Nadia kam zur Fahrertür und riss sie auf. «Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.»
Sie zauberte ein verlegenes Lächeln auf ihr Gesicht. «Ich habe so schnell gemacht, wie es ging. Wartest du schon lange?»
Nadia winkte ab. «Gab es Ärger mit Michael?»
«Mächtig.» Sie stieg aus. «Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen, als er mir das Handy wegnahm.»
Nadia ließ die Zigarette zu Boden fallen und trat sie aus. «Nicht so tragisch. Damit hatte ich schon gerechnet, als ich ihn hörte.»
Den Mietwagen hatte Nadia bereits zurückgegeben und sämtliche Formalitäten erledigt. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihr Leben ab sofort wieder selbst in die Hand nehmen wollte. In wenigen Sekunden war das Gepäck im Kofferraum verschwunden. Nadia nahm ihre Handtasche, verlangteauch das Handy zurück und drängte auf einen umfassenden Bericht. Gleichzeitig machte sie eine fordernde Geste mit der rechten Hand.
Langsam nahm Susanne den Schmuck ab, berichtete dabei ausschweifend und wohl überlegt von Michaels anfänglich guter Laune, seinen Urlaubsplänen und seinem Stimmungsumschwung. Nadia war mehr als zufrieden, den Hinweis auf den von Philipp geliehenen Laptop zu hören, und wollte wissen, ob sie nächste Woche Zeit hätte.
«Sonntag nicht. Da besuche ich meine Mutter.»
«Es geht nicht um Sonntag», sagte Nadia. «Mein Freund fliegt am Mittwoch für drei Tage nach Genf. Und weil ich gestern erst so spät angekommen bin, dachten wir …» Sie gab einen Seufzer von sich. «Er hat gefragt, ob ich es einrichten kann, ihn zu begleiten. Wir hätten mehr Zeit. Für dich spielt es doch keine Rolle, ob du es am Wochenende machst oder mitten in der Woche. Solange du keinen Job hast und sich mir die Möglichkeit bietet …»
Den Rest ließ Nadia unausgesprochen. Susanne fühlte wieder den unbändigen Zorn. Solange du keinen Job hast! Es war vermutlich vom ersten Moment an um nichts anderes gegangen als um Geschäftsreisen – bei einem verheirateten Mann. Mit dem Job bei Behringer hätte sie nur am Wochenende zur Verfügung gestanden und genug verdient, um ein Nebeneinkommen, das auf Betrug basierte, schon aus Prinzip abzulehnen.
«Was ist nun?», drängte Nadia. «Kannst du?»
«Ich weiß nicht», zierte sie sich, während sich ihre Gedanken überschlugen. Ein Mann, der ihr ein paar unvergessliche Stunden beschert hatte. Aber er liebte seine Frau. Er würde keine Fremde akzeptieren. Informationen, sie brauchte entschieden mehr, sie brauchte alles. Um vielleicht irgendwann – weiter konnte sie nicht denken. «Auf Dauer kann das nichtgut gehen», sagte sie. «Nimm nur den Patzer mit Olaf. Du hast darüber gelacht. Mir war nicht danach. Oder Joachim Kogler mit …» Über ihre Hilflosigkeit, als plötzlich ein halbes Dutzend Namen um ihren Kopf schwirrten, brachte sie ihr Anliegen zur Sprache. «Ich müsste mehr wissen.»
«Jo!», sagte Nadia nachdrücklich. «Komm nie auf die Idee, ihn Joachim zu nennen, das hasst er. Er wird dich nicht belästigen. Sie fliegen Anfang der Woche für vierzehn Tage nach Kanada.»
«Aber du hast doch einen Termin am Mittwoch.»
«Ist schon auf Dienstag verschoben. Ich werde dir alles notieren, was mir einfällt, okay?»
Quer durch ihr Hirn zog sich in großen Leuchtbuchstaben die Zustimmung. Äußerlich behielt sie das Zögern bei, deutete ein Nicken an, zuckte gleichzeitig schicksalsergeben mit den
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