Die Lüge
Hause. Du kannst Michael ja erzählen, du hättest eine Wagenpanne gehabt. Den Alfa kannst du dann am Samstagnachmittag bei mir abholen. Du kannst auch vormittags im Geschäft anrufen und mir eine Zeit nennen, dann komme ich hierher.»
Nadia nickte nur und drängte: «Jetzt gib mir die Tasche, deine Ohrstecker und deine Uhr.» Sekunden später war Nadia fort.
Susanne fühlte sich wie betäubt, wusste nicht, was sie denken sollte und glauben durfte, presste Nadias Handtasche an sich und ging langsam ins Freie. Den Alfa fand sie rasch. ImKofferraum lag die Kapuzenjacke, die Nadia morgens getragen hatte. Sie stieg ein, nahm Nadias Schmuck aus der Handtasche, streifte die beiden Ringe über, legte die Armbanduhr ums Handgelenk und schob Nadias Brillantstecker ein. Dann saß sie minutenlang da und versuchte sich einzureden, es sei eine reine Entscheidung der Vernunft, sich noch einmal darauf einzulassen. Es ginge um nichts anderes als Zurkeulen.
Aber als die Bilder langsam vor der Windschutzscheibe vorbeizogen, sah sie nicht den Mann in der Bank und nicht den Gedrungenen bei der schwarzen Limousine. Nur Michael! Wie er auf dem Rand der Wanne saß und seine Hand ins Wasser tauchte. «Soll ich dir ein bisschen Gesellschaft leisten?» Wie er in ihren Nacken griff. «Du bist ja wirklich total verspannt.»
Sie war nicht verspannt, nur benommen von Nadias Versprechen einer sorgenfreien Zukunft. Eine große, helle Wohnung und einen guten Job bei Philipp Hardenberg. Und wenn sie bei Alfo Investment so viel verdiente, dass sie sich ein Kindermädchen leisten könnte, konnte sie sich auch ein Auto gönnen. Und jeden zweiten Sonntag im eigenen Wagen mit dem eigenen Kind zum Seniorenwohnheim. Dieters schwülstige Geburtsanzeige für seine und Ramies Tochter wirkte mit einem Mal nicht mehr so gestelzt. «In einer Zeit der Hoffnungslosigkeit freuen wir uns, einen Lichtstrahl in diese Welt gebracht zu haben.» Wieder kamen die Tränen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Doch sie hätte eine Menge getan, um ihr Kind auf die Welt zu bringen. Und vielleicht war das der einzig wahre Grund, ein Funken Hoffnung auf dieses Leben.
Es wäre hirnverbrannt gewesen, Nadias Angebot abzulehnen – und bodenloser Leichtsinn, sich blauäugig auf alles, was sie gesagt hatte, zu verlassen. Es gab einige Widersprüche in Nadias Behauptungen. Ganz zu Anfang hatte sie gesagt, siehabe ihren Liebhaber vor kurzem kennen gelernt. Und als sie Auskunft über Ehekrise und Alkoholexzesse gab, hatte sie von einem Bekannten gesprochen, der zu ihrem Glück aufgetaucht war. Doch das musste vor zwei Jahren gewesen sein. Und immer wieder hatte Nadia betont, ihr Freund sei verheiratet. Ein verheirateter Mann trug jedoch meist einen Ehering. Philipp Hardenberg hatte keinen getragen, als er ihr vom Boden der Telefonzelle hochhalf. Das sah sie noch vor sich.
In Gedanken versunken fuhr sie zu ihrer Wohnung, steckte ihre Zahnbürste ein. Die konnte sie im Gästebad verstecken, damit Michael sie nicht zu Gesicht bekam. Dann ging sie unter die Dusche, glich Achselhöhlen, Beine und den Rest dem Original an, legte Make-up auf, zog ebenfalls einen Hosenanzug an und die Kapuzenjacke darüber.
Ihre Brieftasche mit den Ausweispapieren legte sie in den Schrank. Den Umschlag mit den Computerausdrucken, dem Zettel mit Jacques’ Telefonnummer und der Bandkopie sowie ihr Schlüsselmäppchen deponierte sie im Kofferraum. Auch wenn Nadia oder Hardenberg zu dem neuen Schloss an der Wohnungstür keinen Schlüssel hatten – sicher war sicher.
Dann fuhr sie erst mal zur Bank und stopfte mit einem Schlag das Loch in der Alterssicherung ihrer Mutter. Den Rest der fünftausend zahlte sie auf ihr eigenes Girokonto ein. Ihr eigenes Geld reichte noch für den Friseur. Sie ließ auch ihre Fingernägel in Form bringen und gab ein großzügiges Trinkgeld. Anschließend verfügte sie noch über knapp zehn Euro. Doch in den nächsten Tagen brauche sie kein Geld, meinte sie. Ein paar Lebensmittel fürs Wochenende wollte sie aus Nadias Vorratsraum nehmen.
Auch nach dem Friseurbesuch lenkte sie den Alfa nicht sofort Richtung Autobahn, wollte so viel Sicherheit wie möglich. Wenn Philipp Hardenberg bei Behringer und Partner tatsächlich eine Wohnung am Stadtrand mieten wollte, dernette Herr Reincke war bestimmt bereit, sie zu informieren, sobald das passiert war.
Wenige Minuten nach zwei fuhr sie den Alfa in die Tiefgarage des Gerler-Bürohauses. Auf den für Alfo Investment reservierten
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