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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley
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neuer Zahn im Mund. William hatte nicht lange genug gelebt, um Zähne zu bekommen. Ann schluckte ihre aufsteigenden Tränen hinunter und drückte Jacob an sich. Wie normal. Ein erster Zahn. Wie wunderbar normal.
    «Lass mich mal sehen», sagte Maddie.
    «Okay, ihr beiden», sagte Ann. «Dann geht ihr ihn jetzt anziehen, und ich mache einen Waschlappen nass, damit er darauf herumkauen kann.» Besser als auf ihrer Schulter.
    «Er kann was von seinen neuen Sachen anziehen», sagte Kate. «Jetzt, wo er ein großer Junge ist.»
    «Ich darf aussuchen», rief Maddie und lief schon aus dem Zimmer.
    «Aber nichts Hässliches», sagte Kate und folgte ihr. «Und nichts mit kurzen Ärmeln.»
    «Ich bin doch nicht doof.»
    «Doch.»
    Ann schaute in den Spiegel im Bad und zog ihren Hemdkragen ein Stück herunter. Jacob hatte richtig zugebissen, die Stelle war noch ganz rot. Sie schraubte eine Wasserflasche auf und benetzte vorsichtig eine Ecke eines Waschlappens mit dem kostbaren Nass.
    Peter erbrach sich seit zwei Tagen in einem fort. Er verlor so viel Flüssigkeit, dass sie überhaupt nicht dagegen ankam. Sie hatte eine Schüssel und eine Tasse mit Trinkwasser nach draußen gestellt, in der Hoffnung, dass es gefrieren würde, damit sie ihm Eisstückchen zu lutschen geben könnte, aber das Wasser war bloß schmutzig geworden. Es war nicht mehr kalt genug.
    Wenigstens schlief er jetzt. Sie hatte keine Ahnung, wie hoch sein Fieber war. Sie hatte ihm die behandschuhten Finger auf die Stirn gelegt, und das Gummi war sofort furchtbar heiß geworden. Eine genauere Messung war nicht möglich. Er hatte solchen Schüttelfrost, dass er glatt das Thermometer durchbeißen würde. Deshalb konnte sie nur nach der Glasigkeit seiner Augen gehen und danach, wie klar er war, wenn er mit ihr redete.
    Das änderte sich stündlich. Neulich zum Beispiel hatte er diesen Unsinn erzählt, dass er es gewesen sei, der Kate die Eule geschenkt habe. Dabei hatte Ann das Stofftier im Laden entdeckt und es Kate zur Begrüßung mitgebracht, als das Jugendamt seine Nachforschungen beendet hatte und sie Kate endlich wiederhaben durften. Peter hatte gelächelt, als redete er von einer gemeinsamen Erinnerung.
    «Mom?»
    Kate stand mit besorgtem Gesicht in der Tür. «Mom, Maddie braucht dich.»
    Ann rannte die Treppe hinauf.
    Maddie saß in ihrem Zimmer auf dem Fußboden. Sie war vornübergebeugt. Ihr Atem ging flach und in kurzen Stößen. Sie hielt sich die Kehle.
    Ann eilte zu ihr. «Was ist passiert?»
    Maddies Gesicht war gerötet. An ihrem Hals breiteten sich große rote Flecken aus. «Du hast eine allergische Reaktion.» Aber gegen was? «Kate, bleib bei deiner Schwester.»
    Sie brauchte ihre Notfallspritze.
    Fünf Minuten.
Die Schwester hatte eine genaue Zeitansage gemacht. Nach dem Auftreten der ersten Symptome blieben ihnen exakt fünf Minuten. Wenn es länger dauerte, konnte das Hirn geschädigt werden.
    Ann lief nach unten und riss die Tür zum Garderobenschrank auf. Ihre Handtasche hing am richtigen Haken. Sie leerte sie auf dem Boden aus.
Vier.
Die Sachen kullerten durcheinander, und sie schlug mit den Händen drauf, damit sie nicht wegrollten. Da waren ihr Lippenstift, das Portemonnaie, der Schlüsselbund. Die Spritze musste doch weggerollt sein. Ihre Augen huschten umher. Sie konnte nicht weg sein.
    Ann suchte überall, auch unter dem Sofa. Sie verrückte die Stühle. Bestimmt hätte sie es gehört, wenn sie weiter weggerollt wäre. Sie riss die Mäntel von ihren Bügeln und suchte in den Taschen. Vielleicht hatte sie das Ding im Chaos der letzten Wochen irgendwo verstaut und dann vergessen, was sie sich dabei gedacht hatte. Sie lief in die Speisekammer und schaute in die Hausapotheke. Auch da war sie nicht zu finden.
    Hatte Peter sie gefunden und irgendwo weggepackt? Das würde er nie tun, ohne ihr etwas davon zu sagen. Es hatte keinen Zweck, ihn zu fragen. Er würde sie nur verwirrt angucken.
    Sie keuchte förmlich vor Aufregung. Fünf Minuten. Wie viele waren schon vergangen? Jetzt mal langsam. Versuch dich zu erinnern. Denk nach.
    «Mom?» Kates Stimme war hoch und voller Angst.
    Denk nach.
    Sie hatte das Rezept sofort eingelöst. Eine Spritze war in die Schule gekommen, zur zuständigen Schwester. Die andere in ihre Handtasche. Wann hatte sie ihre Handtasche zum letzten Mal mitgehabt? Als sie mit Libby zum Einkaufen war. Nein. Moment. Sie hatte die Spritze nicht mitgenommen. Sie hatte sie aus der Handtasche genommen und zu Hause gelassen. Weil

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