Die Luft, die du atmest
musste zur Toilette, schnell. Seine Beine waren steif. Das Zimmer drehte sich um ihn. Er fiel gegen die Wand, die Hand zur Tür gereckt.
«Nein, Schatz», sagte Ann. «Hier, komm.»
Vor ihm gähnte die Öffnung zum Flur. Er schaffte es ins Bad und übergab sich in die Toilette. Er fiel auf die Knie und hielt sich am kalten Porzellan fest. Wieder hustete er und übergab sich.
Ann half ihm zurück ins Bett. Sie hob die Decken mit Schwung hoch und deckte ihn sanft zu. Sie legte ihm eine Hand in den Nacken, damit er den Strohhalm erreichen konnte. Er schloss die Augen. Er liebte sie so sehr. Mehr als jemals zuvor. Ob sie das wusste?
«Ach, Peter», sagte sie. Sie betupfte ihm die Stirn mit einem kühlen Waschlappen. «Ich liebe dich doch auch.»
VIERUNDVIERZIG
Seit Tagen redete Peter über William. Nach Jahren brach er endlich sein Schweigen. «Weißt du noch, wie er auf dem Ultraschallbild am Daumen lutschte?», fragte er. Oder: «Er hatte deine Augenfarbe, weißt du noch?»
Gestern hatte er versucht, alleine aufzustehen. Ann war gerade rechtzeitig ins Zimmer gekommen, um ihn aufzufangen, bevor er stürzte. «Wo willst du hin?», hatte sie ihn gefragt.
«Ich muss die Proben kontrollieren –»
«Aber, Peter, die Proben sind längst hinüber.»
«Ach so?»
Er wirkte so verzweifelt, dass sie rasch hinzufügte: «Aber es war alles in Ordnung mit ihnen.»
«Schön.» Er nickte und ließ sich wieder ins Bett bringen und zudecken.
Die Mädchen machten sich Sorgen. Maddie kam Ann jedes Mal sofort entgegen, wenn sie die Treppe hinunterkam. Kate sagte nichts, aber als Ann das letzte Mal hochgegangen war, um nach Peter zu sehen, hatte sie ihre Eule mit aufs Tablett gelegt. «Da, für Daddy.»
Daddy, nicht Dad.
Ann hatte die Tränen zurückhalten müssen, als sie es hörte. «Du wirst sie nicht wiederkriegen, Schatz.»
Kate zuckte die Achseln. «Ist mir egal.»
Ann zog sie rasch an sich, dann brachte sie Peter das verschlissene,ausgeleierte Stofftier. Die Eule hatte schon einmal Wunder bewirkt. Womöglich schaffte sie es wieder.
Sie musste in Bewegung bleiben. Wenn sie Pause machte, und sei es nur einen Moment, würde sie einschlafen. Gleich hier an die Wand gelehnt, im Stehen. Sie schloss die Tür zu Peters Zimmer hinter sich und hörte unten Schreien. Das Baby schon wieder. Es klang schrill und verzweifelt. Ann schüttelte die Arme frei und ließ das Hemd zu Boden fallen. Sie ließ alle Sachen im Flur liegen, ein verseuchtes Häuflein.
Kate hatte Jacob auf dem Arm und marschierte mit ihm auf und ab.
Maddie stand daneben und kaute auf ihrer Unterlippe. Ihr Blick wandte sich Ann zu, als sie die Treppe hinunterkam. «Er will einfach nicht aufhören, Mommy.»
«Habt ihr es mit dem Fläschchen probiert?» Ann nahm Kate das schreiende Bündel ab. «Hey, mein Kleiner, was ist mit dir?»
«Die Windel ist es nicht», sagte Kate. «Ich habe nachgesehen.»
Jacob verzog das Gesicht und heulte so laut auf, dass es ihr in den Ohren klang.
«Schsch. Schsch, Schätzchen.»
Jacob wand sich auf ihrem Arm und ließ sich nicht beruhigen. Ann drückte ihn fester an sich und klopfte ihm auf den Rücken. Er war verschwitzt und heiß.
Kate fragte: «Ist er krank?»
Würde das von nun an immer ihre erste Angst sein? Würden sie sich nie wieder sicher fühlen? Ann legte Jacob hin. Sie tastete seinen Körper ab, aber er war nirgends verhärtet. Sie kontrollierte seine Windel und untersuchte ihn am ganzen Körper. Alles schien normal. Warum weinte er bloß? Er hatte kein Fieber, er hatte nicht einmal eine Schniefnase.
«Ich weiß nicht.» Sie hob ihn wieder an die Schulter. Jacob ballte die kleinen Fäuste und nuckelte an ihrem Hemd. Ihr Kragen wurde ganz nass. Sie klopfte ihm auf den Rücken, und er machte ein Bäuerchen. War das die Ursache des ganzen Elends, ein bisschen Luft? Noch einmal rülpste Jacob laut.
Maddie kicherte.
«Siehst du.» Ann tätschelte Jacobs Rücken und lächelte Maddie zu. «Alles wieder gut.»
Jacob saugte an ihrem Hemd. Dann biss er zu.
Das tat weh. «Au!»
Erschrocken begann Jacob wieder zu schreien. Ann legte ihn in ihre Armbeuge und schaute ihm in den Mund. «Na, so was.» Sie befühlte seinen unteren Gaumen mit dem Finger, zog ihn aber schnell wieder heraus, als er zubeißen wollte. «Ja cob hat seinen ersten Zahn bekommen.»
Die Mädchen hatten nie so gelitten, wenn sie zahnten. Sie sabberten einen Tag mehr als üblich und bissen auf allem herum, und am nächsten Tag blitzte perlweiß ein
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