Die Luft, die du atmest
Wochen.»
Zwei Wochen waren gut. Zwei Wochen waren wunderbar. Und trotzdem – sollte sie es zulassen? Nichts an diesem Besuch in der Notaufnahme war wie beim letzten Mal, doch der Doktor wirkte, als wüsste er, was er tat. Was hatte sie schon für eine Wahl? Maddie beobachtete sie mit besorgtem Blick.
«Komm, mein Schatz, das ist halb so schlimm.» Ann zog Maddie den Mantel aus und schob die Ärmel der beiden Pullover, die sie übereinandertrug, hoch, um ihren Oberarm zu entblößen. «In einer Sekunde ist es vorbei.»
Die Schwester desinfizierte die Stelle mit einem Tupfer und entfernte den Deckel von der Spritze. «Pass auf. Es ist nur ein kleiner Piekser.»
Maddie kreischte: «Aua.» Sie sah Ann vorwurfsvoll an.
«Schon fertig», sagte die Krankenschwester und zog die Nadel wieder heraus.
«Wissen Sie, was den Anfall verursacht hat?», fragte der Arzt.
«Letztes Mal war es eine Katze. Aber wir haben keine Katze, und wir haben seit Wochen das Haus nicht verlassen.»
«Zu Hause bleiben ist das Beste, was Sie im Augenblick tun können. Aber Sie müssen die Ursache ergründen. Sonst kommt der nächste Anfall bestimmt.»
Was konnte in Maddies Zimmer sein, gegen das sie plötzlich allergisch geworden war? Es war Winter. Draußen wuchs nichts, was die Mädchen in den Kleidern oder den Haaren hereingebracht haben konnten.
Der Arzt tätschelte Maddies Schulter. «In ein paar Minuten müsste es dir wieder bessergehen.» Er wandte sich der Schwester zu. «Behalten Sie sie im Auge. Sagen Sie mir Bescheid, wenn es in einer Viertelstunde nicht besser wird.»
Die Schwester nickte. «Bin gleich wieder da», sagte sie zu Maddie und ging davon.
Ann zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu Maddie. Es war so warm hier drin. Sie machte den Reißverschluss an ihrem Mantel auf, nahm Maddies Hand und drückte sie. Kate und Jacob waren seit einer halben Stunde allein. Kate hatte bestimmt Angst, aber sie würde die Türen verschlossen lassen. Notfalls konnte sie laut hupen. Wahrscheinlich sang sie für Jacob und schaukelte ihn. Er hätte längst seinen Mittagsschlaf machen müssen. Vielleicht schlief er ja in Kates Armen ein. «Mach ein bisschen die Augen zu, Maddie, und ruh dich aus.»
Sie hoffte, dass Peter noch schlief. Dass die Sonne, die ins Zimmer schien, ihm ein Gefühl von Wärme gab. Er strampelte sich ständig frei. Sie musste ihn immer wieder zudecken.
Im Warteraum war es hell und überraschend ruhig. Die Leute saßen in Rollstühlen oder auf Klappstühlen, oder sie lagen auf Krankentragen. Die Schwester redete mit einem Schwarzen, der an der Wand lehnte und sich den Ellbogen hielt. Neben ihm saß ein kleines Mädchen im Schneidersitz, das auf ein Zeichen von ihm sofort aufstand. Alle drei verschwanden in einer Nische mit Vorhang. Unter einem Fernseher in der Ecke saß ein alter Mann, der vor sich hin gestikulierte und nickte. Aus seinem Ärmel schlängelten sich Schläuche. Auf einer Trage in der Nähe stöhnte jemand leise. Ann konnte nicht hören, ob es ein Mann oder eine Frau war. Hinter einem Schirm hörte sie Wimmern. Stiefel klatschten auf den Boden. Aufgeregtes Gemurmel, dann streckte eine junge Frau den Kopf um die Ecke. «Doktor, er ist aufgewacht.»
Hier waren die Leute, die nicht an der Vogelgrippe erkrankt waren. Die Diabetiker, die Herzkranken, die Knochenbrüche. Was machten sie, wenn jemand operiert werden musste? Was machten sie mit Frauen, die in den Wehen lagen?
Die Schwester kam mit dem Klemmbrett zu ihr. «Würden Sie das hier bitte ausfüllen?»
Ann sah sich das Blatt an. Es war mit der Hand geschrieben. Fragend sah sie die Krankenschwester an, die mit den Schultern zuckte.
«Wir haben schon lange keine Formulare mehr. Das ist unser einziger Ersatz. Wenigstens kommen wir hier mit dem Ausfüllen noch nach.»
Offenbar anders als drüben, wo die Grippepatienten waren. Ann nahm den Kugelschreiber, den ihr die Schwester hinhielt, und begann die leeren Felder auszufüllen. Name der Patientin, Alter, Anschrift. «Wie sieht es denn drüben aus?»
Die Schwester verdrehte die Augen. «Das wollen Sie nicht wissen.» Sie stemmte die Hände in die Hüften und ließ denBlick durch den Raum schweifen. «Manchmal denke ich, fast alle sind tot.»
«Mein Mann ist krank.»
Ihr Blick kehrte zu Ann zurück. Sie war eine kleine Frau, mit einem unscheinbaren Gesicht, das Haar zu einem kräftigen Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte sanfte braune Augen. «Das tut mir leid.»
«Heute ist der siebte Tag.
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