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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley
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keine Gefahr», sagte Peter. «Lass ihn rein, Ann.»
    «Und wenn sie lügt?»
    «Und wenn nicht?»
    Sie kaute auf ihren Lippen, schmeckte Blut. «Ich kann das Risiko nicht eingehen, Peter, ich kann es einfach nicht.»
    «Wir müssen es tun.»
    Inzwischen trommelte Libby an das Holz.
    «Ann», sagte Peter.
    Das dunkle Gefühl in ihr schwoll an, bis es alles in ihr ausfüllte. Ihr Kopf brummte. «Ich werde das Leben unserer Kinder nicht für ein fremdes aufs Spiel setzen.»
    «Es ist kein fremdes Kind. Sie ist deine beste Freundin.»
    «Sie würde es umgekehrt auch nicht tun.» War das die Wahrheit? Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
    «Das kannst du nicht wissen.»
    Moment. Doch, sie wusste es. Natürlich. Was konnte es für einen Grund geben, dass eine Mutter das Leben ihrer Kinder riskierte? Nein, Libby würde genauso handeln wie sie, da war sie sich sicher, ganz egal, wie sehr es schmerzte. «Wir werden diese Tür nicht aufmachen.»
    «Das ist ein Fehler.»
    «Peter.» Er musste ihr zuhören. «Hör zu. An der Grippe stirbt die Hälfte aller, die sie bekommen. Das weißt du. Jeder Zweite stirbt. Das heißt, wir opfern eine von beiden.» Ihre Augen brannten, die Kehle schmerzte. Sie sah die achtjährige Jodi vor sich, wie sie auf dem Trampolin sprang, mit fliegenden Haaren und fröhlichem Lachen. Plötzlich wurde sie so von Zorn übermannt, dass sie kaum noch Luft bekam. Sie brauchte ihn an ihrer Seite, nicht als ihren Gegner. Warum konnte er sie nicht verstehen? «Kate oder Maddie. Welche von unseren Töchtern willst du opfern?»
    «Um Himmels willen, schrei nicht so.»
    Sie presste den Rücken ans Holz, erschrocken über ihre eigenen Worte. Das Rütteln ließ nicht nach. Der Kampf war leicht zu bestehen, wenn das Ungeheuer auf Abstand blieb, dann ließ sich einfach die Grenze ziehen. Aber wenn es buchstäblich vor der Tür stand, dann zählte jeder kleine Schritt.Nicht das Öffnen der Tür war so schwer. Sie nicht zu öffnen war viel schwerer. Das konnte Peter nicht verstehen. Das würde er nie verstehen.
    «Geh einfach wieder schlafen.» Nie hatte sie sich einsamer gefühlt als in diesem Moment. «Ich mach das allein. Wie immer.»
    «Was zum Teufel soll das nun wieder heißen?»
    «Du machst es dir immer leicht. In unserer Ehe. Mit deiner Mutter. Du bist schwach. Genau wie dein Vater.»
    Er verzog das Gesicht.
    «Ich geh weg.» Flehentlich bummerte Libby an die Tür. «Aber bitte hilf Jacob. Ann, bitte. Bitte hilf meinem Kind.»
    Die Grippe hatte so viele dahingerafft. Sie würde Kate und Maddie nicht bekommen. Ann lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür. Sie würde verhindern, dass diese unaussprechliche Seuche Kate und Maddie noch mehr belastete, als sie es ohnehin schon waren.
    Peter sagte leise: «Und du meinst, dein Verhalten macht dich zu einer guten Mutter?»
    Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht. Es war starr vor Zorn. Seine Augen waren kalt. Er fand abscheulich, was er sah.
    «Was soll ich denn tun?»
    Das Bummern hörte auf.
    «Nimm nur mein Kind.» Libbys Stimme entfernte sich. «Ich bin im Garten. Ich bin im Garten.»
    Ann versagten die Beine. Sie sank zu Boden, schloss die Augen und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Das Ungeheuer drohte sie zu vernichten. Sie selbst war das Ungeheuer.
    Um sie herum wurde es still.
    Die Diele war leer. Peter war gegangen. Zitternd rappelte sie sich auf und guckte aus dem Fenster. Draußen lag alles verlassen.Sie sah nur ihren verschneiten, schräg abfallenden Garten und dahinter die dunklen Umrisse der Nachbarhäuser. Libby war weg. Aber vor der Tür lag etwas. Was war das?
    Libby hatte das Baby dort gelassen. Jacob lag in einem Wäschekorb, so dick in Decken gehüllt, dass nur seine Nasenspitze zu sehen war. Ann presste die Hand ans Fenster. Ihr Atem gefror auf dem Glas. Im trüben Licht des Mondes meinte sie zu sehen, wie ein Füßchen gegen den Deckenberg antrat.
    Libby, komm wieder
.
    Draußen war alles still. Selbst die Bäume schienen den Atem anzuhalten. Libby war nirgends zu sehen. Anns Gedanken rasten. Und wenn sie nun unrecht hatte? Wenn Libby die Wahrheit gesagt hatte? Ann musste nur die Tür entriegeln. Er lag direkt auf der Schwelle. Sie würde nicht einmal aus dem Haus treten müssen. Vielleicht war er wirklich nicht krank.
    Libby, bitte, ich schaff das nicht. Komm wieder und nimm diese Last von mir.
    Ann schlug die Hände vors Gesicht.

FÜNFUNDZWANZIG
    Peter lief vor das Haus, um nach Libby zu suchen. Sie war nirgends zu

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