Die Luft, die du atmest
ihr der Park ein.
Ann rannte den ganzen Weg, machte Bögen um die Schneeberge am Straßenrand, den Müll, ein herumliegendes Fahrrad. Dann lag der Park vor ihr: das verschneite Feld, die verlassenenTennisplätze, der Spielplatz, und da – ja! –, da war sie, Kate, die zusammengekauert auf einer Schaukel saß, den Kopf an die Kette gelehnt, und sich mit einer Stiefelspitze träge hin und her stieß.
Ann blieb an den Steinsäulen stehen. Sie konnte es kaum fassen, dass ihre Tochter wirklich da war, unversehrt und lebendig und
allein
. Keuchend stützte sie die Hände auf die Knie, um Atem zu schöpfen. Ihre eigensinnige Tochter. Gott sei Dank, dass sie sie noch rechtzeitig gefunden hatte.
Kate blickte nicht auf, als Ann vor sie trat und auf sie hinuntersah.
«Was hast du dir bloß gedacht?»
Schweigen.
«Ich dachte, wir hätten das klargestellt. Ich dachte, du hättest es verstanden. Mein Gott, ich habe mir solche Sorgen gemacht.» Am liebsten hätte sie die Antwort aus ihrer Tochter herausgeschüttelt. Am liebsten hätte sie sie in die Arme geschlossen und nie wieder losgelassen. «Kate. Antworte mir.»
Kate schaukelte nur langsam vor und zurück.
«Ist alles in Ordnung?»
Anzusehen war ihr nichts. War jemand bei ihr gewesen? Ann suchte die Umgebung nach Spuren ab, bemerkte den Haufen Zigarettenkippen an der Sandkiste und sah mit Erleichterung, wie alt und durchweicht sie waren. Die lagen schon eine ganze Weile dort. Am Trinkwasserbrunnen lag ein umgekippter Mülleimer, dessen schwarzer Inhalt sich auf den Schneematsch ergoss. Irgendwer hatte ihn angezündet, aber es roch nicht mehr verbrannt. Auch das musste also schon eine Weile her sein.
Was suchte ihre Tochter so weit von zu Hause in diesem gottverlassenen Park?
Ann setzte sich auf die Schaukel neben Kate. Sie überlegte, was sie sagen sollte.
«Hab schon lange nicht mehr auf so ’nem Ding gesessen. Nicht sehr bequem.»
Kate hielt die Hände verschränkt auf dem Schoß. Sie hatte keine Handschuhe an, und ihre Knöchel waren blau vor Kälte. Wie gern hätte Ann sie mit ihren Händen gewärmt.
«Weißt du noch, wie du nur schaukeln wolltest, wenn ich mich mit dir auf die Schaukel setzte? Mir ist dann immer der Hintern eingeschlafen, und ich konnte hinterher kaum laufen.»
Kate bohrte mit ihrer Stiefelspitze im Boden.
Auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Ann behielt es im Blick, bis es um die Ecke fuhr und verschwand. Maddie hatte versprochen, im Schlafzimmer zu bleiben. Shazia hatte genickt, um ihre Zustimmung zu zeigen: Sie würde nicht nach oben gehen. Sie würde Jacob nicht in Maddies Nähe bringen. Doch Ann hatte ihr das Unverständnis deutlich angesehen.
«Schlimmer war nur, wenn ich mit in der Sandkiste spielen musste. Ich durfte nicht am Rand sitzen wie die anderen Mütter. Sondern musste mit rein in den Sand, damit du mich in ein Schloss einbauen konntest oder so.» Immer war alles voller Sand gewesen, die Schuhe, die Socken, manchmal sogar ihre Haare.
Jetzt verrottete Laub in dem hölzernen Rahmen. Jedes Frühjahr kippte die Verwaltung frischen Sand auf den alten. Wie oft hatte sich Ann mit Kates Kinderschaufel durch die Schichten gegraben und eine Zikadenhülle oder eine Haarklemme gefunden. Wie bei einer archäologischen Ausgrabung.
An Kates Schaukel knarrten die Ketten.
Eine kalte, nasse Bö. Ann zog ihren Mantelkragen fester um den Hals. «Sieht aus, als hätten sie endlich die Rutscherepariert. Gott sei Dank. Die alte war so gesprungen, dass ich immer Angst hatte, ihr könntet euch wehtun. Ich habe immer versucht, dich dazu zu bewegen, lieber auf das Klettergerüst oder das Karussell zu gehen, aber das wolltest du nicht.»
«Ich mochte die Rutsche überhaupt nicht.»
Erleichtert schloss Ann die Augen. Kate redete wieder mit ihr. «Ich weiß. Du bist nur gerutscht, um mich verrückt zu machen.»
Hinter ihnen ertönten Stimmen. An den Tennisplätzen standen drei Leute, zwei Frauen und ein Junge. Sie blieben stehen, und gleichzeitig sahen sie Ann und Kate. Ann hielt die Luft an, innerlich bereit, sofort nach Kates Hand zu greifen. Ein langer Augenblick. Dann nickte die ältere Frau ihnen zu, und die drei drehten sich um und gingen in die andere Richtung fort. Wenig später traten sie vom Weg in den Wald und entschwanden ihrem Blick.
Sie mussten nach Hause. «Kate –», begann Ann, und Kate sagte: «Ich dachte, Libby wäre deine Freundin.»
Darum ging es also. «Ja, ich weiß.»
Sie waren nicht länger Freundinnen. Sie
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