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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley
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unten?»
    Shazia schüttelte den Kopf.
    «Ich kann sie nicht finden.»
    Shazia sah sie ratlos an, dann huschte ein Gedanke über ihr Gesicht, und ihr schien etwas unangenehm zu sein. «Ah.»
    «Was?»
    «Vor ein paar Minuten ist die Tür gegangen. Ich dachte, es wäre Peter, der wieder reinkommt. Aber als ich in die Küche ging, war keiner da.»
    «Kate ist
weg

    Shazia biss sich auf die Lippen und wiegte das Baby in ihren Armen. «Vielleicht.»

SIEBENUNDZWANZIG
    Der alte Mann kauerte im Schatten vor seinem Hauseingang. Weiße Haare, brauner Mantel über einem dicken Bauch, hellbraune Jägermütze mit Fellklappen. Peter hob die Hand zum Gruß.
    Der Mann beugte sich auf seinem Stuhl vor. «Haben Sie gehört, ob die langsam mal Lebensmittel abwerfen wollen?»
    Seine Stimme klang verschleimt. War er krank?
    «Nicht, dass ich wüsste», sagte Peter.
    Er hatte keine Ahnung, wie lange es her war, dass er zum letzten Mal ein Flugzeug am Himmel gehört hatte. Eines der vielen kleinen alltäglichen Ärgernisse, die er als selbstverständlich hingenommen hatte. Wie würde er sich jetzt freuen, das Dröhnen zu hören.
    «Geräumt worden ist auch nicht.»
    «Nein», sagte Peter, «das stimmt.» Er sah den Mann an. «Sind Sie allein?»
    Der Mann schüttelte den Kopf. «Die andern schlafen noch.»
    Peter zögerte immer noch. «Brauchen Sie was?»
    «Nee.» Der Mann lehnte sich zurück. «Alles klar.»
    Die Schneegrate auf den Dächern malten in der Morgensonne schartige Schatten auf den Boden. Peter trottete weiter. Der Schlitten knirschte hinter ihm über das Pflaster. Er fühltesich einsam, wie er mit dem leeren Schlitten durch die Gegend zog.
    Unter einem Ginkgobaum steckte ein Ast im Gras. Er war klein, bloß ein Zweiglein. Damit konnte man höchstens Marshmallows aufspießen, Wärme würde er nicht bringen. Trotzdem legte Peter ihn auf den Schlitten. Da war noch einer. Er war innen hellgrün und hatte lauter Knospen. Ein junger Zweig. Irgendwer oder -was hatte ihn von einem Baum abgerissen. Er legte ihn auf den Schlitten. Der musste erst mal trocknen, bevor er ihn verbrennen konnte.
    Er folgte dem Weg in den Wald.
    Die Luft war klar. Er atmete tief durch und musste husten. Sie hielten sich den ganzen Tag in verräucherten Zimmern auf. Er roch den Holzrauch in den Haaren seiner Töchter, seinen Kleidern, den Decken, unter denen sie nachts schliefen. Ann versuchte dagegen anzukämpfen, aber ihm machte es nicht so viel aus. Es war ein tröstlicher Geruch, der ihn an seine Kindheit erinnerte. Sein Vater war jeden Herbst mit Mike und ihm in die Hütte gefahren, zur Jagd. Abends hatten sie ein Lagerfeuer gemacht und übers Wasser geguckt. Ihr Vater hatte Geschichten erzählt. Mit rauer Stimme, weil er den ganzen Tag nicht gesprochen hatte.
    Er erzählte ihnen von den Bergen in Kentucky, die bei Tagesanbruch blau schimmerten, und wie er beim Bau der Eisenbahn in North Dakota mit sieben anderen Männern in zwei kleinen Zimmern gehaust und bei der Arbeit einen Daumen verloren hatte, als ihm der Hammer ausgerutscht war. Wie er am Ende des Krieges auf einem Frachtschiff nach Europa gefahren war und junge Französinnen gerettet hatte. Und wie er in den Black Hills mit einem Bären gekämpft hatte und in Minnesota zum Ehren-Navajo ernannt worden war.
    Dass sich in seinen Geschichten Dichtung und Wahrheitmischten, machte Peter und Mike nichts aus. Wichtig war die Stimme ihres Vaters. Wie oft hatte er betont, dass ein Mann nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten gemessen wird. Nicht ein einziges Mal hatte er Peter gesagt, dass er ihn liebte. Er hatte seinen alten Pick-up beladen und war mit den Jungs zur Jagd gefahren.
    Peter wanderte tiefer in den Wald.
    Zuckerahorn und Schwarznuss, Roteichen und Hickorybäume. Kalt und schattig war es, auf einer Lichtung plötzlich gleißende Sonne. Es roch nach nasser Erde und faulenden Blättern. Er kam an ein Flüsschen, das über Steine plätscherte, am lehmigen Ufer die braunen Reste von Farnwedeln, hartes Sumpfgras, glitschige graue Kalksteinflächen. Ein Weidenbusch erhob sich anmutig aus braunem Gestrüpp.
    Er brach einen Zweig von dem Busch. Der würde sich gut machen in einer Vase auf dem Küchentisch. Später, wenn die Kätzchen verwelkt waren und abfielen, konnten sie ihn als Anmachholz verwenden.
    Von der schmalen Brücke konnte er durch das klare Wasser sehen, bis zu den Kieseln auf dem Grund. Gleich hinter der ersten Biegung erspähte er einen ordentlichen Ast, der zur Hälfte

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