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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Angebot seiner Großmutter anzunehmen, ihm ein Internat zu bezahlen. Was Tom und Addie sich niemals hätten leisten können und worüber sie sich auch lustig gemacht hätten (und das auch wirklich
abends, hinter verschlossenen Türen taten), selbst wenn sie das Geld dazu gehabt hätten.
    »Schule ist Schule, egal, wo man ist«, pflegte Addie zu sagen. »Man lernt sowieso nichts Vernünftiges, bis man aufs College kommt. Davor geht es nur darum, im sozialen Mahlstrom nicht unterzugehen.« Eine Geisteshaltung, die Tom, wenn er sie auch nicht unbedingt teilte (seine eigene Erfahrung in Schwester Catherines Klasse jedenfalls strafte eine solche Auffassung Lügen), doch zu gefallen schien.
    Und so war Scarlet fünfzehn und wütend. Auf ihre Eltern, auf ihre Klassenkameraden, auf die enge Welt, in der sie sich fand – noch enger gemacht, noch weiter beschränkt durch diese Schleife ungenutzten Kanals, der den letzten verbliebenen wilden Fluss der Vereinigten Staaten einschnürte. Trotz der Bücher und der Kunst, der Teppiche und Quilts und heimeligen Gerüche, des Feuers im Holzofen, der Musik am Abend, die nun ebenfalls seltener geworden war, da Addie, und demzufolge auch Tom, kaum noch Interesse daran zeigte. Trotz all dieser Dinge also war Scarlet wütend, oder vielleicht auch deswegen. Wer kann schon nachvollziehen, was im Kopf eines Heranwachsenden vor sich geht?
    Mit fünfzehn hatte Scarlet allmählich das Gefühl, das von der Schule sicherlich noch verstärkt wurde, dass ihre Eltern eigentlich ziemlich seltsam waren. Ihre Eltern, die nie in die Kirche gingen. Die beide so vertieft in ihre Arbeit waren, dass sie gar nicht damit aufhören konnten, selbst an den Wochenenden nicht. Die einen rostigen alten Kombi aus dritter Hand fuhren, wenn es unbedingt sein musste, sich aber bevorzugt auf ihren alten, gleichermaßen rostigen Fahrrädern fortbewegten. Die keinerlei Anstalten machten, in absehbarer Zeit in ein Haus in einer der neu angelegten Siedlungen zu ziehen (wie es immer mehr ihrer Kollegen aus Burnham taten), eins mit
modernen Annehmlichkeiten wie zum Beispiel einem Fernseher. Die – zumindest was Addie betraf – allem Anschein nach so ein Haus lieber in Schutt und Asche sähen, als darin zu wohnen.
    Im Jahr 1983 war Ronald Reagan Präsident, und Scarlet war fünfzehn und lebte bei Eltern wie Addie und Tom, während viele ihre Schulkameraden in ebendiesen neuen Häusern mit Fernsehern (und Spülmaschinen und gemähtem Rasen und mindestens zwei – neuen! – Autos pro Familie) wohnten. Und obwohl sie tief im Inneren schon damals diesen ganzen Überfluss verachtete, den »Schmutz und die Zerstörung« (um aus einem ihrer späteren Gedichte zu zitieren), war Scarlet doch noch jung. Jung und einsam, nun, da Peter fort war. Und außerdem zunehmend peinlich berührt von einer Mutter, die immer noch ruheloser wurde, deren Verzweiflung über den Wildwuchs der Zersiedelung und die Umweltzerstörung – von dem Schmetterling aus Scarlets früher Kindheit bis hin zum pestizidbelasteten Grundwasser und den verlorenen Wäldern der letzten Jahre – sie dazu brachte, mit einer eigenartigen Mischung aus Kleinkriminellen, alternden Hippies und anderen Außenseitern zu verkehren. Eine Zeitlang klammerte Scarlet sich an Tom, ihren lachenden, singenden Vater, der offenbar, zumindest an der Oberfläche, die sie sehen konnte, außer seiner Arbeit und seiner Familie überhaupt nichts mitbekam.
    Wobei er vielleicht doch nicht ganz so selbstvergessen war. Denn es war seine Idee, immer wieder nach Cider Cove zu fahren, das kleine Häuschen zu mieten, bevor die offizielle Sommersaison begann, und dann lange Wochenenden dort zu verbringen. Cider Cove, wo, wie es schien, sie alle wieder atmen konnten, nach den besonders kalten und grauen Wintern in Burnham. Cider Cove und die Küste und Fahrradtouren
und Baden und lange, lärmende Abendessen mit Cora und Karl, Bobby und Richard.
    Anfangs war es ein bisschen anstrengend gewesen, sich auf Richards sonderbare Angewohnheiten einzustellen, auf seine urplötzlichen Wechsel von lebhafter Unterhaltung und übermütigem Gelächter zu grüblerischem, abwesendem Schweigen. Zumindest für Addie und Scarlet war es anstrengend gewesen. Tom hatte von Beginn an einen völlig natürlichen Umgang mit Richard gehabt – er hörte mit anscheinend aufrichtigem Vergnügen Richards obsessivem Geplapper über Baseballergebnisse und Schlagstatistiken, über den Gitarristen Django Reinhardt und das mögliche

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