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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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damit aufhörte. Sei jetzt still , Addie, versuchte sie, mit den Augen zu sagen.
    Und dann lächelte Addie ein unendlich herzzerreißendes, seliges Lächeln. »Du wirst eine wundervolle Mutter sein, Scarlet. « Sie sah strahlend schön aus, so entkräftet und hager sie auch inzwischen war. Scarlet hatte ganz vergessen, stellte sie nun fest, als sie ihre Mutter begierig betrachtete, wie schön sie eigentlich war. »Was auch immer du erleben wirst«, fuhr Addie in ihrem gedämpften, aber deutlichen Flüstern fort, »was für Albernheiten die Leute auch zu dir sagen werden, vergiss niemals eins: Du wirst dein Kind so sehr lieben, wie ich dich geliebt habe, und mehr braucht es nicht.«
    Mehr braucht es nicht . Jetzt schließt Scarlet die Augen und lächelt in Gedenken an Addies Worte.
    »Das habe ich gestern Abend auch zu Addie gesagt«, spricht Cora weiter. »›Ich weiß, dass du mich schon immer für eine hoffnungslose Optimistin gehalten hast‹, meinte ich. Und sie sagte: ›Du bist eben eine Künstlerin Cora. Und die Künstler sind die Optimisten, nicht die Wissenschaftler, egal, was Tom immer behauptet.‹«
    Lou ist aufgestanden und hat sich neben Cora gesetzt, quetscht sich neben sie in den Korbstuhl, legt die Arme um sie und lehnt sich an ihre Schulter. »Wisst ihr, was Addie zu mir gesagt hat?«, fragt sie. »Sie sagte: ›Wenn ich nur halb so viel Geld und halb so viel Selbstbewusstsein hätte wie du, überleg mal, was ich mit diesem Arschloch Bert Schafer alles hätte anstellen können.«
    Daraufhin weinen und lachen alle, außer Tom. Was auch
immer mit ihm geschehen ist, als er ganz am Ende allein bei Addie war, es ist unübersehbar – an seinem stillen Lächeln, seinen trockenen Augen, seiner buddhaähnlichen Gelassenheit – , dass für Tom und Addie alles gut war, als sie starb. Tom hat seinen Frieden gefunden. Und er verspürt, so scheint es, kein Bedürfnis, von seinen letzten Augenblicken mit Addie zu erzählen.
    Deshalb überrascht seine Stimme, als er schließlich spricht, jeden im Raum. »Zu mir hat sie vor einigen Wochen etwas Ähnliches gesagt, Cora. ›Du hattest Unrecht, weißt du?‹, meinte sie. ›Ich bin optimistischer, als du es je warst.‹« Immer noch lächelt er, obwohl nun auch unverkennbarer Schmerz in seiner Miene liegt. »Ich habe geantwortet: ›Du hast Recht, mein Liebling.‹« Seine Stimme versagt, und er macht eine kurze Pause, bevor er fortfährt. »›Du hattest damit immer Recht.‹«
    Und in diesem Augenblick begreift Scarlet. Natürlich, denkt sie. Natürlich werden sie Addies Wünsche respektieren. Wie konnte sie überhaupt auf eine andere Idee kommen? Sie weiß zwar noch nicht genau, wie sie es bewerkstelligen werden, aber es ist völlig klar für sie, dass sie es tun werden, als sie Tom jetzt ansieht. Sie haben ja schon damit angefangen, ihren Anweisungen zu folgen. Addies Leichnam ruht sicher auf Trockeneis, und Dustin arbeitet an einem schlichten, selbstgezimmerten Sarg. Was als Nächstes ansteht, kann Scarlet sich zwar nicht so recht vorstellen, aber Tom weiß es ganz offensichtlich. Sie wird sich einfach auf ihren Vater verlassen müssen, Addies einzige große Liebe. Auf ihn und das seltsame, unerforschliche Band zwischen ihren Eltern.
    Bei diesem Gedanken fühlt Scarlet sich plötzlich wagemutig. Jetzt, wo sie einander gerade alles erzählen, wo jeder preisgibt, was er zu Addie gesagt hat oder sich wünscht, gesagt zu haben: Vielleicht ist das jetzt der passende Zeitpunkt für Scarlet,
auch ihre Neuigkeiten zu enthüllen. Das Letzte, was Addie zu mir sagte, war, dass ich eine gute Mutter sein werde , könnte sie verkünden und Lou damit verblüffen. Und dann, wenn Lou sofort die unausweichliche Frage nach dem Vater des Kindes stellt, könnte sie diese Gelegenheit, diesen eigenartigen, friedvollen Moment der Erinnerung an ihre Mutter ergreifen, um auch die andere Nachricht kundzutun.
    Aber gerade, als sie den Mund aufmacht, um zu sprechen, drehen sich alle zu einem Geräusch an der Fliegengittertür um. Es ist Dustin, der leise auf die Veranda tritt, die Säge noch in der Hand.
    »Der Sarg ist fertig«, sagt er. »Was machen wir jetzt?«
    Tom erhebt sich, läuft zu Dustin hinüber und klopft ihm auf den Rücken. »Das ging aber schnell, Dustin. Danke. Jetzt solltest du dir ein großes Glas Wasser holen, und wir alle sollten eine Kleinigkeit essen.« Damit wendet er sich an Cora. »Wie war das noch, kann dein Freund, der Fischer, uns einen Kühlwagen für ein oder

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