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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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zwei Tage zur Verfügung stellen?«, fragt er sie.
    »Bis Montagmorgen, meinte er, ja«, antwortet sie. Ihre Miene ist etwas verwirrt, aber es ist klar, dass sie nichts in Frage stellen wird, was Tom sagt oder worum er bittet.
    Lou hingegen rutscht vor auf die Stuhlkante und sieht Tom an. »Aber«, sagt sie, »du brauchst doch gar keinen Kühlwagen. Ob sie nun verbrannt wird oder nicht, das Bestattungsunternehmen übernimmt ab jetzt den Transport von Addies Leichnam. «
    Tom zieht Scarlet an der Hand aus ihrem Stuhl. »Wir werden keinen Bestatter beauftragen.« Er lächelt seine Tochter an. Dann wendet er sich an Lou und Cora. »Von nun an, fürchte ich, werdet ihr alles Scarlet und mir überlassen müssen. Addie hat es so gewollt. Wir kommen schon zurecht«, er nickt in Dustins Richtung, »mit Dustins Hilfe.«

    Beim Blick auf diesen dünnen, hölzernen jungen Mann mit seinem verschwitzten T-Shirt, den von Staub und Sägespänen bedeckten Armen, dem langen braunen Haar, stellt Scarlet erschrocken fest, wie sehr ihre Gefühle sich in den letzten Stunden verändert haben. Ganz plötzlich ist sie von Dankbarkeit erfüllt. Gegenüber Dustin, dem idealistischen jungen Sargschreiner, und gegenüber Tom, ihrem wie immer starken und klugen – wenn auch nicht immer vernünftigen – Vater. Natürlich werden sie sich jetzt selbst um Addies Leichnam kümmern. Wie um alles in der Welt könnten sie das jemand anderem überlassen?
    Im Stehen merkt Scarlet, wie erschöpft sie ist. Und sie beschließt mit Erleichterung, dass ihre eigenen Neuigkeiten noch bis zum nächsten Besuch warten können.
    Tom begleitet sie zur Treppe. »Geh dich hinlegen.« Er streichelt ihr übers Haar. »Ich bringe dir gleich ein Sandwich.«
    Noch nie war ich so müde, denkt Scarlet, während sie die Stufen zu ihrem Zimmer hinaufsteigt. Bei jedem Schritt denkt sie an eine andere Zeit, vor Ewigkeiten, als sie auf dieser Treppe einem verschlossenen Richard oder später einem bekifften Bobby begegnete, ohne dass beide sie wahrgenommen hätten.
    Unten hört sie die drei, Lou, Cora und ihren Vater, mit Töpfen scheppern und lachend und plaudernd Essen machen. Im Badezimmer nebenan stellt Dustin die Dusche an. Als Scarlet langsam in den Schlaf gleitet, denkt sie an Addies Gesicht, das nun, aufgebahrt auf der Liege in dem Kühlraum des Restaurants, auf die Scarlet und Tom sie im Morgengrauen gebettet haben, friedlicher wirkt, als Scarlet sich jemals zu ihren Lebzeiten erinnern kann.
    »So sah sie aus, als ich sie kennenlernte«, hatte Tom gesagt, während sie die Tüten mit dem Trockeneis um sie herum verteilten und das Laken feststeckten. Seltsam, so etwas zu sagen,
fand Scarlet, wenn man bedachte, dass Addie am Ende nur noch trockene, aschfarbene Haut über spitzen Knochen gewesen war, das lange blonde Haar inzwischen vollkommen grau und knapp über den Schultern abgeschnitten. Und doch verstand Scarlet, was er meinte. Es lag eine Unschuld in ihrer Miene, eine Jugendlichkeit in den scharfen Konturen. Sie und Tom betrachteten Addie eine Zeitlang, bevor sie sie widerstrebend ganz zudeckten. Sie wollten sie nicht allein lassen.
    Als Scarlet sich nun kurz vor dem Einschlafen daran erinnert, sieht sie Addie als fiebrige Einundzwanzigjährige vor sich, losgelöst von allem, was sie vorher gekannt hatte, verliebt in Tom, in die Vögel, in die Kunst. Dann, nur zwei Jahre später, auf der Heimfahrt aus Europa und schwanger.
    Und endlich lässt Scarlet die ganze Flut all dessen, was sie vergangene Nacht verloren hat, über sich hinwegspülen.

Fünfzehn
    Der Knoten, den Addie im Herbst 1985 bei sich entdeckte, als sie bei Lou untergeschlüpft war, stellte sich als gutartig heraus. Doch die anderen, die auf Dauer folgten, waren es nicht. Dieses Mal allerdings fühlte Addie sich bereit. Es gab ihr Antrieb, dieses Gefühl, dass der Kampf plötzlich persönlicher war als je zuvor – der Kampf gegen den Krebs, aber auch gegen das, was, dessen war sie sich absolut sicher, sein Ursprung war: die Zerstörung der Umwelt.
    Ungefähr um dieselbe Zeit begann Bert Schafer, sich bei den höheren Verwaltungsebenen des Burnham College anzubiedern, einer hoffnungslos finanzschwachen Bildungseinrichtung, deren Gründer es für geschmacklos, ganz abgesehen von moralisch fragwürdig, gehalten hatten, mit den wenigen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ehrgeizige Investitionen zu tätigen. Unglücklicherweise hatten mehrere nachfolgende Generationen von Verwaltungen dieses Widerstreben

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