Die Luft, die uns traegt
Schafer erworbenen Grunds aufgeschlagen, einem Wäldchen, das der Bauer, der Schafer das Land verkauft hatte, sich bisher noch weigerte, in den Verkauf mit einzubringen.
Doch dieser Bauer lag nun in einem Pflegeheim in Harrisburg, wo – laut Schafer – seine beiden Söhne versuchten, »ihn zur Vernunft zu bringen« (mithilfe von weiteren zwanzigtausend Dollar). Der Sheriff war nicht auf Haarspalterei aus. »So oder so handelt es sich um Privatbesitz«, sagte er, während er Addie und ihre Kameraden zu den Streifenwagen brachte, »und das bedeutet, Sie haben sich unbefugt auf fremdem Grund aufgehalten. «
Eines regnerischen Tages im nächsten Juni hatte Brian Kent Addie und Bob, dem Ingenieur, geholfen, ihre Zelte frech mitten auf dem bereits von Pestiziden durchtränkten Rasen vor dem Rohbau eines der neuen Musterhäuser aufzustellen. Dort kampierten sie im Regen über eine Woche lang, während sich kein Bauarbeiter blicken ließ. Zehn Tage später, als die Sonne endlich zurückkehrte, saßen Addie und Bob wieder im Bezirksgefängnis. Dieses Mal beschränkte sich die örtliche Berichterstattung auf drei Zeilen unter der Rubrik »Verhaftungen«.
Als schließlich drei der fertiggestellten Musterhäuser in Flammen aufgingen, erzielte Bert Schafer nicht nur einen
PR-Coup, sondern zusätzlich auch eine saftige Abfindung von der Versicherung. Zwei Monate später wurde Brian Kent festgenommen. Addie hörte nie wieder von ihm.
Der darauffolgende Winter verstärkte in ihr, mit ihren zweiundvierzig Jahren, die Gewissheit, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte, endlich etwas zu tun, das etwas verändern, vielleicht sogar irgendwie wiedergutmachen könnte. Was, das konnte sie nicht so genau sagen. Es hatte mit Richards traurigem Leben und Tod zu tun, mit Coras stummem Leiden, mit Brian Kents zielloser Schwermütigkeit. Selbst vielleicht mit ihrer eigenen Angst vor dem Krebs. Mit ihrer seltsamen Distanz zu Tom und Scarlet, zu ihrer eigenen Arbeit als Künstlerin. Sie musste einen Weg finden, für all das und noch mehr zu sühnen, so schien es Addie. Warum sie diese Verpflichtung hatte, hätte sie bestimmt nicht erklären können.
Da war außerdem noch der schreckliche Wortwechsel, den sie mit Cora an jenem zweiten Weihnachtsfeiertag in Cider Cove gehabt hatte. Den ganzen Winter hatte sie darüber nachgegrübelt, hatte jedes Wort im Kopf wieder und wieder durchgespielt und, wie von ihr nicht anders zu erwarten, alles gelesen, was sie in die Finger bekam, um nachvollziehen zu können, was Cora zu ihr gesagt hatte.
»Ich kann dir nicht mal annähernd beschreiben, wie das ist«, hatte Cora angefangen. »Wenn man sich selbst verantwortlich macht, wenn andere Leute einem, manchmal subtil und manchmal ziemlich deutlich, zu verstehen geben, dass man an dieser ganzen Sache selbst schuld sein muss.« Sie lachte bitter auf und legte sich dann die Hände auf die Augen. »Als reichten all die Vorwürfe, mit denen man sich selbst schon überhäuft, noch nicht aus«, fuhr sie fort. »Immer und immer wieder habe ich mich gefragt, warum ich es nicht früher erkannt, warum ich Richard nicht irgendwie
beschützt, warum ich es nicht geschafft habe, ihn mehr zu lieben?«
Während sie sprach, machte Karl sich am Kaminfeuer zu schaffen, füllte alle Gläser auf, ging nach draußen, um Holz zu holen – was auch immer ihm einfiel, um sich diesem Gespräch zu entziehen.
Tom konnte die Wut in seiner Frau aufsteigen sehen, die zu Cora geeilt war und sie umarmte. »Wie hättest du ihn denn noch mehr lieben können? Du hast alles für ihn getan. Warum hörst du dir diesen lächerlichen Unsinn an, der sich selbst als Wissenschaft ausgibt, als könnten die Schrecken dieser Welt durch die sogenannte Lehre der Psychologie erklärt werden! «
»Wie dieser Idiot Bettelheim«, sagte Karl, gegen seinen Willen in die Unterhaltung gezogen. »Erzähl ihnen von diesem albernen Buch.«
Cora wischte sich die Augen. »Eine Frau bei uns in der Kirche hat es mir empfohlen. Es heißt Die Geburt des Selbst , und es geht darin um Autismus. Bettelheim behauptet, die Mütter autistischer Kinder seien wie die SS-Wärter in den Konzentrationslagern der Nazis – genauso kalt und brutal – und deshalb seien ihre Kinder so geworden, wie sie sind.«
Karl stand wieder auf, um in dem bereits lodernden Feuer zu stochern.
Ein Blick auf Addie reichte Tom, um zu erkennen, dass es jetzt kein Halten mehr für sie gab. Ihr Gesicht war gerötet, Tränen schwammen in ihren Augen. Er
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