Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
klammerte sich an die Armlehnen, um ihr Zittern zu unterdrücken. Vor ihrem inneren Auge spulte sie die Unterhaltung noch einmal ab, während ihr Netzhaut-Display ihr mitteilte, dass sie Unmengen von Endorphinen produzierte und versuchen sollte, sich zu beruhigen.
»Was hat er wohl damit gemeint, dass er das aus reiner Selbsterhaltung tut?«
»Wahrscheinlich will er auf dem Ball nicht von jungen Damen zerfleischt werden. Wissen Sie, vor zwei Jahren ist es fast zu einer Massenpanik gekommen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe. Von allen Mädchen in der ganzen Stadt war sie …
Die praktischste.
Sie zwang sich, diese beiden Wörter zu wiederholen, sie sich einzuprägen. Sie war hier, sie schien bei Verstand zu sein, und für ihn war es eine sichere Sache, sie zum Ball einzuladen. Das war alles.
Außerdem trauerte er. Er konnte gar nicht klar denken.
»Kaiser Rikan ist tot«, sagte sie. Sie wollte über etwas anderes nachdenken.
»In der Tat. Prinz Kai stand seinem Vater sehr nahe, wissen Sie.«
Sie sah auf den Bildschirm, über den Dr. Erland gebeugt war. Sie konnte nur das kleine Diagramm eines menschlichen Oberkörpers sehen, umgeben von eng beschriebenen Kästen. Es schien nicht ihrer zu sein.
»Ich muss zugeben«, fuhr Dr. Erland fort, »dass ich die geheime Hoffnung hatte, noch rechtzeitig ein Gegenmittel zu finden, um Seine Majestät zu retten, auch wenn ich zum Zeitpunkt der Diagnose wusste, dass es unwahrscheinlich war. Nichtsdestotrotz müssen wir unsere Arbeit weiter vorantreiben.«
Sie nickte zustimmend. Ihr fiel ein, wie Peony mit ihrer kleinen Hand nach ihrer gegriffen hatte. »Doktor, warum haben Sie dem Prinzen nicht die Wahrheit über mich gesagt? Warum soll er nicht erfahren, dass Sie jemanden gefunden haben, der immun ist? Das ist doch wichtig.«
Er presste die Lippen zusammen, sah aber nicht zu ihr auf. »Vielleicht sollte ich es ihm erzählen. Aber dann müsste er mit dieser Nachricht an die Öffentlichkeit gehen, und ich glaube nicht, dass wir jetzt schon so viel Aufmerksamkeit erregen sollten. Wenn wir verlässliche Beweise haben, dass Sie so … so wertvoll sind, wie ich hoffe, dann werden wir dem Prinzen und der ganzen Welt unsere Neuigkeit mitteilen.«
Sie griff nach einem Stift für einen Portscreen, der auf dem Schreibtisch herumlag, und untersuchte ihn, als sei er ein spannendes wissenschaftliches Rätsel. Dann ließ sie ihn wie ein Windrädchen um die Finger kreisen und murmelte: »Sie haben ihm auch nicht gesagt, dass ich ein Cyborg bin.«
Jetzt sah der Arzt sie direkt an und als er lächelte, vertieften sich seine Krähenfüße. »Ah. Und das beschäftigt Sie am meisten, was?«
Bevor sie irgendetwas dazu sagen konnte, machte Dr. Erland eine wegwerfende Geste, als wollte er verhindern, dass Cinder widersprach. »Glauben Sie, ich sollte ihm sagen, dass Sie ein Cyborg sind? Wenn Sie es möchten, dann tue ich es. Aber ehrlich gesagt finde ich, dass ihn das einen feuchten Kehricht angeht.«
Cinder ließ den Stift in den Schoß fallen. »Nein, es ist nicht … Ich meine nur …«
Dr. Erland schnaubte. Er lachte sie aus.
Aufgebracht starrte Cinder aus dem Fenster. Die Stadt strahlte fast blendend hell in der Morgensonne. »Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde. Er findet es sowieso irgendwann heraus.«
»Ja, das nehme ich auch an. Vor allem wenn er weiterhin, äh, Interesse an Ihnen bekundet.« Dr. Erland schob den Stuhl zurück. »So. Ihre DNA-Analyse ist fertig. Sollen wir ins Labor gehen?«
Sie folgte ihm in den leeren Flur. Der Weg zum Labor war kurz und dieses Mal gingen sie in die 11d, wo es genauso aussah wie in der 4d: Netscreen, Einbauschränke, ein einziger Untersuchungstisch. Kein Spiegel.
Unaufgefordert setzte sich Cinder auf den Tisch. »Ich war heute in der Quarantänestation … Um meine Schwester zu besuchen.«
Der Doktor ließ die Hand vom Schalter des Bildschirms sinken. »Das war ziemlich riskant. Sie wussten doch, dass man da normalerweise nicht mehr rauskommt, oder?«
»Ja, schon. Aber ich musste unbedingt zu ihr.« Sie ließ die Beine baumeln und trat gegen das Tischgestell. »Ein Medidroide hat einen Bluttest gemacht, dann durfte ich gehen.«
Der Doktor spielte an den Einstellungen des Bildschirms herum. »Wirklich?«
»Jedenfalls wollte ich es Ihnen sagen, falls es irgendwelche Auswirkungen hat.«
»Nein, hat es nicht.« Eine Sekunde später erwachte der Schirm zum Leben. Er fuhr darüber und zog Cinders Akte hervor. Sie war voller
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