Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
geschwächt war, um sie alle unter Kontrolle zu halten. Dass auch seine Macht über sie begrenzt war.
Aber es spielte keine Rolle mehr. Ihre Kräfte verließen sie.
Ihre Hände wurden schwer, sie begann zu schwanken und spürte den Sog der lockenden Ohnmacht, die ihr Gehirn erfüllte.
Wieder grinste der Thaumaturge, aber eher vor Erleichterung als aus Schadenfreude.
»Troya«, sagte er, »geh rein und hol Mademoiselle Benoit. Was mit Alpha Kesley geschehen soll, muss ich mir noch über–«
Er wirbelte herum und starrte zum Schiff, wo sich in diesem Moment ein Schuss gelöst hatte.
Der Thaumaturge stolperte rückwärts, die Hand auf die Brust gepresst.
Scarlet stand mit einem Gewehr im Anschlag oben an der Rampe.
»Mademoiselle Benoit meldet sich zur Stelle«, sagte sie und gab dem fassungslos am Boden liegenden Soldaten einen Tritt, so dass er herunterrollte. »Und um Alpha Kesley brauchen Sie sich keine Gedanken mehr zu machen, den nehmen wir Ihnen ab.«
Der Thaumaturge sank zu Boden. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor.
»Woher hast du die?«, fragte Cinder.
»Aus einer von euren Kisten«, sagte Scarlet. »Jetzt komm, wir müssen …«
Über ihr Gesicht flackerte Wut, Widerstand, Verblüffung, Leere.
Und dann senkte sie die Mündung des Gewehrs.
Cinder fluchte. »Iko, die Rampe!«, brüllte sie, kletterte die Rampe hoch und brach fast zusammen vor Scarlets Füßen. Dann schnappte sie sich die Waffe, bevor der Thaumaturge sie auf einen von ihnen richten konnte. Die Rampe hob sich und sie kullerten in den Frachtraum.
Ein lauter Schrei gefolgt von Geheul aus vielen Kehlen. Ein letzter Versuch des Thaumaturgen, sein Rudel zu steuern.
Scarlet schüttelte sich, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
»Halt dich lieber irgendwo fest, wenn du kannst«, warnte sie Cinder und humpelte ins Cockpit. »Raumschiff, Magnethub und hintere Schubdüsen auf volle Kraft!«
Cinder sank erschöpft auf den Boden, das Gewehr fest umklammert. Sekunden später hob sich das Schiff in die Luft.
43
Auf Kais Stirn hatten sich Schweißperlen gesammelt. Er nahm all seine Kraft zusammen, um sich nicht übergeben zu müssen. Obwohl seine Augen brannten, konnte er den Blick nicht von den Netscreens abwenden. Es war wie in einem Horrorfilm – zu gruselig und unglaubwürdig, um wirklich zu sein.
Doch der Vidlink kam direkt aus dem Stadtzentrum, vom Wochenmarkt, wo erst vor wenigen Tagen das alljährliche Fest und die Krönungsfeierlichkeiten stattgefunden hatten. Überall auf dem Platz lagen Leichen, in deren dunklen Blutlachen sich die flackernden Lichter von Reklameschildern widerspiegelten. Die meisten türmten sich vor dem Eingang eines Restaurants, das nach Mitternacht geöffnet hatte und gut besucht gewesen war, als der Angriff begann.
Man hatte ihm versichert, dass nur ein einziger Attentäter im Restaurant gewesen war, aber nach dem Blutbad zu schließen, musste es mehr als einer gewesen sein. Wie sollte ein einziger Mann so ein Gemetzel anrichten?
In den Nachrichten war jetzt ein Hotel in Tokio zu sehen, in dem ein Wahnsinniger einen leblosen Körper gegen eine Säule schleuderte. Alles in Kai sträubte sich, als er das Krachen hörte. Er sah weg. »Schalten Sie das aus. Ich kann es nicht mehr mit ansehen. Wo ist die Polizei? «
»Sie tut alles, um den Angriffen Einhalt zu gebieten, Eure Majestät«, sagte Torin hinter ihm, »aber sie braucht Zeit für die Mobilisierung und für die Organisation eines Gegenschlags. Die Attentäter sind ununterbrochen in Bewegung, sie bleiben nur ein paar Minuten an einer Stelle – nur so lange, wie sie brauchen, um zu töten – und dann schlagen sie in einem anderen Stadtviertel zu …« Torin brach ab, als hätte er selbst die Panik in seiner Stimme bemerkt. Dann räusperte er sich. »Bildschirm, die internationalen Nachrichtenkanäle.«
Der Raum summte. Sechs Nachrichtensprecher informierten sie über dasselbe Geschehen: Angriffe wie aus dem Nichts, mörderische Psychopathen, Ungeheuer, unerklärliche Todesfälle, Chaos auf der ganzen Welt …
Im Asiatischen Staatenbund waren vier große Städte betroffen: Neu-Peking, Mumbai, Tokio und Manila. Und in den anderen fünf Ländern der Erde zehn Städte: Mexiko-Stadt, New York, São Paulo, Kairo, Lagos, London, Moskau, Paris, Istanbul und Sydney.
Insgesamt vierzehn Städte. Auch wenn es unmöglich war, die genaue Anzahl der Angreifer festzustellen, berichteten Augenzeugen einstimmig, dass nicht mehr als zwanzig
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