Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
oder dreißig Männer an jedem Standort für die Morde verantwortlich zu sein schienen.
Kai versuchte sich im Kopfrechnen. Dreihundert, vielleicht vierhundert Männer.
Bei den ständig steigenden Opferzahlen und den Hilfegesuchen der betroffenen Städte, die ihre Verletzten bereits auf benachbarte Krankenhäuser verteilen mussten, kam ihm das völlig unmöglich vor.
Bis zu zehntausend Todesopfer in weniger als zwei Stunden. Durch drei- oder vierhundert Männer.
Drei- oder vierhundert Lunarier. Denn er wusste mit Sicherheit, dass Levana hinter alldem stand. In zwei der angegriffenen Städte waren königliche Thaumaturgen gesehen worden. Auch wenn beide Zeugen durch den hohen Blutverlust nicht mehr ganz zurechnungsfähig gewesen waren, schenkte Kai ihnen Glauben. Es war nur allzu wahrscheinlich, dass Levana ihre obersten Erfüllungsgehilfen bei so etwas einsetzen würde. Und dass diese nicht unmittelbar am Blutvergießen beteiligt waren, auch wenn sie die Angriffe ihrer Spielfiguren dirigierten.
Kai schritt vor dem Schirm auf und ab und rieb sich die Augen.
Das geschah alles nur seinetwegen.
Seinetwegen und wegen Cinder.
»Das bedeutet Krieg«, sagte Königin Camilla aus dem Vereinigten Königreich. »Sie hat uns den Krieg erklärt.«
Kai lehnte sich gegen den Schreibtisch. Sie hatten sich zusammen die Bilder angesehen, still und ungläubig, und so hatte er völlig vergessen, dass er mitten in einer Konferenz mit den anderen Staatsoberhäuptern der Union war.
Der afrikanische Premierminister Kamin kochte vor Wut. »Fünfzehn Jahre Blaue Pest – und jetzt das! Und weswegen? Weil Levana über die Flucht einer einzigen Gefangenen ungehalten ist? Noch dazu ein Mädchen? Das ist doch nur ein Vorwand. Sie macht sich über uns lustig!«
»Ich habe gerade die Anweisung gegeben, alle größeren Städte zu evakuieren«, schaltete sich Präsident Vargas aus Amerika ein. »Wir können wenigstens versuchen, die Verluste so gering –«
Der europäische Premierminister Bromstad unterbrach ihn. »Bevor Sie weitere Anweisungen geben, muss ich Ihnen leider eine beunruhigende Mitteilung machen.«
Kai ließ das Kinn auf die Brust sinken. Er war versucht, sich die Ohren zuzuhalten, um nicht hören zu müssen, was Bromstad zu sagen hatte. Doch er bereitete sich auf das Schlimmste vor.
»Die Attentate sind nicht auf die großen Metropolen begrenzt«, sagte Bromstad. »Man hat mich soeben informiert, dass wir nicht nur in Paris, Moskau und Istanbul, sondern auch in einer Kleinstadt einen Angriff zu verzeichnen haben. In Rieux, einer ländlichen Gemeinde in Südfrankreich mit dreitausendachthundert Einwohnern.«
»Dreitausendachthundert«, sagte Königin Camilla. »Warum greift sie eine so kleine Stadt an?«
»Um uns zu verwirren«, spekulierte Generalgouverneur Williams aus Australien. »Damit wir glauben, dass kein Plan dahinter steht, und wir befürchten, dass sie jederzeit und überall zuschlagen kann. Das passt zu Levana.«
Ohne anzuklopfen, platzte der Vorsitzende Huy in Kais Arbeitszimmer. Kai sprang auf. Einen Moment lang hatte er Huy für einen Verrückten gehalten, der auf ihn losgehen wollte. Doch dann beruhigte sich sein Puls.
»Neuigkeiten?«
Huy nickte. Kai fiel auf, dass er in der letzten Woche um Jahre gealtert war. »Linh Cinder wurde gesichtet.«
Kai schluckte.
»Wie bitte? Wer war das, der eben dort gesprochen hat?«, wollte Königin Camilla wissen. »Was ist mit Linh Cinder?«
»Ich muss mich anderen Angelegenheiten zuwenden«, sagte Kai abrupt. »Ende der Konferenz.« Er hörte die Proteste nicht mehr. Kai konzentrierte sich angestrengt auf den Vorsitzenden. »Ja, und weiter?«
»Drei Soldaten haben sie mit Hilfe des ID -Chips ihrer verstorbenen Stiefschwester, Linh Peony, geortet. Wie ihr Vormund es vorhergesagt hat. Sie wurde nur wenige Minuten vor dem Angriff in einer Kleinstadt in Südfrankreich aufgespürt.«
»In Süd–?« Kai warf Torin einen Blick zu. Dem es im selben Augenblick klar wurde. »Heißt der Ort vielleicht Rieux?«
Huy sah ihn groß an. »Woher wisst Ihr das?«
Kai stöhnte und ging um seinen Schreibtisch herum. »Levanas Männer haben nur eine einzige Kleinstadt angegriffen. Sie haben sie also auch geortet. Deswegen waren sie dort.«
»Wir müssen den anderen Staatsoberhäuptern Bescheid geben«, sagte Torin. »Denn jetzt haben wir die Gewissheit, dass sie nicht nach dem Zufallsprinzip zuschlägt.«
»Aber wie haben sie sie gefunden? Der Chip ihrer Schwester war unsere
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