Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
an der Decke und das dunkle Holz der Treppe, bevor er an ihr vorbei in den Flur ging. Er musste den Kopf einziehen, um sich nicht am Türrahmen zu stoßen.
Scarlet schloss die Tür mit einem festen Tritt. Dabei ließ sie Wolf nicht aus den Augen, doch der stand gebückt da und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Dann fielen ihm die wechselnden Fotos in den digitalen Rahmen auf. Scarlet als Kind, wie sie rohe Erbsen aus den Schoten aß, goldene Stoppelfelder im Herbst, Michelle vor vierzig Jahren in Militäruniform.
»Hier geht’s lang.«
Er folgte ihrer Aufforderung und ging vor ihr in die Küche. Aus dem Augenwinkel warf Scarlet einen Blick auf das Foto ihrer Großmutter und marschierte hinter ihm her.
Mitten auf der Arbeitsfläche lag der Port, auf dem das Foto eines männlichen Alphatiers mit seiner Gefährtin zu sehen war. Scarlet steckte ihn blitzschnell in ihre Hosentasche.
Ohne dem Straßenkämpfer den Rücken zuzuwenden, lehnte sie das Gewehr in die Ecke neben dem Schrank und nahm den roten Kapuzenpullover von der Stuhllehne. Sowie sie ihn übergestreift und ein Küchenmesser aus dem Messerblock gezogen hatte, fühlte sie sich weniger verwundbar.
Wolf warf einen Seitenblick auf das Messer, dann sah er sich in der Küche um, bis er den Drahtkorb neben dem Spülbecken entdeckte, die Augen vor Hunger geweitet.
In dem Korb lagen sechs glänzende rote Tomaten.
Scarlet zog die Augenbrauen zusammen. Wolf senkte den Kopf.
»Du musst Hunger haben«, sagte sie, »nach all der Rennerei.«
»Geht so.«
»Setz dich«, sagte sie und deutete mit dem Messer auf den Tisch.
Wolf zögerte, bevor er einen Stuhl vorzog. Er setzte sich mit großem Abstand an den Tisch, als wollte er genug Platz haben, um jederzeit aufspringen und losrennen zu können.
»Hände auf den Tisch, wo ich sie sehen kann.«
Er sah fast amüsiert aus, als er sich vorbeugte und die gespreizten Finger auf die Tischplatte legte. »Ich mag mir kaum ausmalen, was du seit gestern Abend von mir halten musst.«
»Ach, nein? Zu Recht.« Sie knallte ein Brett auf den Tisch. »Soll ich dir einen Tipp geben?«
Er senkte den Blick und zog einen alten Riss im Holz nach. »Eigentlich habe ich mich im Griff. Das ist mir lange nicht mehr passiert. Ich weiß nicht, was gestern mit mir los war.«
»Hoffentlich bist du nicht gekommen, um dich bemitleiden zu lassen.« Scarlet wollte weder das Messer aus der Hand legen noch ihm den Rücken zukehren. Deswegen musste sie dreimal zur Arbeitsfläche gehen, bis Brot und Tomaten auf dem Tisch standen.
»Nein, ich habe dir doch gesagt, warum ich hier bin. Ich hab nur die ganze Nacht gegrübelt, was da gestern schiefgelaufen ist.«
»Vielleicht solltest du dir mal überlegen, wieso du jemals gedacht hast, Straßenkampf könnte ein Beruf für dich sein.«
Eine lange Pause folgte, in der Scarlet, noch immer stehend, ein großes Stück vom Brot abschnitt und es Wolf zuwarf, der es mit Leichtigkeit auffing.
»Du hast Recht«, sagte er und kratzte an der Kruste herum. »Wahrscheinlich hat es damit angefangen.« Er schlug die Zähne ins Brot und kaute kaum, bevor er es hinunterschluckte.
Verblüfft, dass er keinen Einwand, keine Entschuldigung hervorbrachte, legte Scarlet eine Tomate aufs Brett. Sie hatte das dringende Bedürfnis, irgendetwas zu tun. Rabiat stieß sie das Messer in das Fleisch der Tomate, so dass der Saft herausspritzte und die Samen auf das Brett quollen.
Dann spießte sie die Tomatenscheiben auf und reichte sie ohne Teller über den Tisch. In dem hinabtropfenden wässrig roten Saft weichten die Brotkrümel auf.
Er war mit den Gedanken woanders, als er die Tomaten entgegennahm. »Vielen Dank.«
Scarlet warf die Rispen ins Waschbecken und wischte sich die Hände an der Jeans ab. Die Sonne stieg jetzt schnell und die Hühner wurden unruhig, weil Scarlet ihnen noch nichts zu fressen gegeben hatte, obwohl sie schon draußen gewesen war.
»Hier ist es so friedlich«, sagte Wolf.
»Du bekommst aber keinen Job von mir.« Sie nahm den Becher mit kaltem Kaffee und setzte sich schließlich an den Tisch. Das Messer lag direkt neben ihr. Sie wartete, bis Wolf sich den Tomatensaft von den Fingern geleckt hatte.
»Also? Was ist jetzt mit dem Tattoo?«
Wolf warf einen Blick auf seinen Unterarm. Im Morgenlicht funkelten seine Augen wie Edelsteine, aber diesmal verwirrte Scarlet das nicht. Sie wollte nur erfahren, was diese Augen verbargen.
Er hielt den Arm unter die Lampe und zog die Haut straff,
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