Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
üben?«
Cinder biss sich von innen auf die Wange. Aber was sollte sie üben?
»Klar, warum nicht.« Dann nahm sie den Deckel der Kiste ab. Verpackungsschnipsel. Mit der Metallhand zog sie eine magere sechsäugige Holzpuppe heraus, die mit Federn geschmückt war. »Was ist das?«
»Eine venezolanische Traumpuppe.«
»Was für ein abscheuliches Teil.«
»Aber ungefähr zwölftausend Univs wert.«
Mit klopfendem Herzen legte Cinder die Puppe behutsam in die gepolsterte Kiste zurück. »Meinst du, in einer von diesen Kisten ist vielleicht was Nützliches? Eine aufgeladene Batterie zum Beispiel?«
»Unwahrscheinlich«, sagte Thorne. »Wie lange hält unsere denn noch?«
»Rund siebenunddreißig Stunden«, ließ Iko sich vernehmen.
Thorne sah Cinder an und hielt die Daumen nach oben. »Reichlich Zeit, um einen lunarischen Trick zu lernen, stimmt’s?«
Cinder legte den Deckel auf die Kiste und schob sie gegen die Wand. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie viel Angst es ihr machte, die neue Gabe zu verwenden – von der Aufgabe, damit ein riesiges Frachtschiff zu tarnen, ganz zu schweigen.
»In der Zwischenzeit werde ich in Erfahrung bringen, wo wir am besten landen sollten. Der Asiatische Staatenbund scheidet natürlich aus. Ich hab mal gehört, auf den Fidschiinseln soll es um diese Jahreszeit ganz nett sein.«
»Oder Los Angeles!«, säuselte Iko. »Da gibt es ein gigantisches Outlet für Eskortdroiden. Mir würde es nichts ausmachen, im Körper einer Eskortdroidin zu leben. Einige der neueren Modelle gibt es mit Haaren aus Glasfasern, die dauernd ihre Farbe verändern.«
Cinder ließ sich wieder auf den Boden sacken und kratzte sich am Handgelenk – das war fast zu einem Tick geworden, seit sie keine Handschuhe mehr hatte, deren Sitz sie überprüfen konnte. »Wir landen nicht mit einem gestohlenen amerikanischen Schiff in der Amerikanischen Republik«, sagte sie und blickte wieder auf den Schirm, von dem ihr das eigene Gefängnisfoto entgegensah. Wie satt sie das Foto hatte!
»Dann mach du einen Vorschlag«, sagte Thorne.
Afrika , sagte sie tonlos.
Dahin sollte sie fliegen. Dort würde Dr. Erland ihr sagen, was als Nächstes zu tun wäre. Er hatte Pläne für sie gemacht. Sie sollte zur Heldin, Retterin, Prinzessin werden, Levana entmachten und sich selbst als wahre Königin inthronisieren.
Ihre rechte Hand zitterte. Dr. Erland war für die Einziehung von Cyborgs verantwortlich und hatte Dutzende, vielleicht Hunderte von Cyborgs wie Wegwerfware behandelt. Und das alles nur, um sie zu finden. Aber dann hatte er ihr sein Wissen so lange vorenthalten, bis er keine andere Wahl mehr hatte. In der Zwischenzeit hatte er ihr Leben für sie geplant, doch es ging ihm nur um seine persönliche Rache.
Leider hatte der Arzt nicht bedacht, dass Cinder überhaupt keine Königin werden wollte. Sie wollte weder Prinzessin sein noch ein Erbe antreten. Ihr ganzes Leben – zumindest das Leben, an das sie sich erinnern konnte – hatte sie sich immer nur Freiheit gewünscht. Und jetzt war sie zum ersten Mal frei. Niemand sagte ihr, was sie zu tun und zu lassen hatte. Niemand nörgelte an ihr herum oder kritisierte sie.
Wenn sie in Afrika zu Dr. Erland stoßen würde, wäre es mit alldem vorbei. Er erwartete, dass sie um den Thron von Luna kämpfen würde, der ihr von Rechts wegen zustand, während ihr das nur wie eine Fessel vorkam.
Cinder stabilisierte ihre zitternde Hand mit der Cyborg-Hand. Sie war es leid, dass andere sich in ihr Leben einmischten. Sie war bereit herauszufinden, wer sie wirklich war. Und sich das nicht von anderen sagen zu lassen.
»Hallo? Cinder?«
»Europa.« Sie drückte den Rücken durch, um Selbstsicherheit vorzutäuschen. »Wir fliegen nach Europa.«
Nach einer kurzen Pause fragte er: »Gibt es dafür einen besonderen Grund?«
Sie sah ihn direkt an und dachte eine Weile nach, bevor sie zögerlich antwortete: »Glaubst du an die Erbin von Luna?«
Thorne stützte das Kinn in beide Hände. »Selbstverständlich.«
»Nein, ich meine, ob du daran glaubst, dass sie noch lebt.«
Er warf ihr einen Blick zu, als würde sie eine niedliche Frage stellen. »Ich hab dich schon beim ersten Mal verstanden. Ja, natürlich glaube ich, dass sie lebt.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Klar. Auch wenn ich weiß, dass viele das für eine Verschwörungstheorie halten. Aber ich habe gehört, dass Königin Levana noch Monate nach dem Feuer richtig paranoid war, dabei hätte sie ja einen
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