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Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marissa Meyer
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wer sonst noch ihr größtes Geheimnis kannte.
    Oder versuchte sie nur, dem Unausweichlichen zu entgehen? Machte sie einen Umweg, weil sie Dr. Erland nicht begegnen und sich ihrem Schicksal nicht stellen wollte? Der Arzt konnte ihr wenigstens beibringen, was dazu gehörte, Lunarierin zu sein. Wie sie sich vor Königin Levana schützen konnte.
    Sie wusste ja noch nicht einmal richtig mit ihrem Zauber umzugehen.
    Sie hob die Cyborg-Hand. In dem schwachen Licht des Schiffes schimmerte das Metall fast wie ein Spiegel. Ihre Hand kam ihr so makellos, so fehlerfrei gefertigt vor – sie schien gar nicht ihre zu sein.
    Cinder legte den Kopf schief und hob auch ihre menschliche Hand. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, von Kopf bis Fuß menschlich zu sein. Vier Gliedmaßen aus Haut, Gewebe und Knochen zu haben, durch deren bläuliche Venen Blut gepumpt wurde. Und zehn Fingernägel.
    Sie spürte, wie ihre Nervenenden sich mit Strom aufluden und ihre Cyborg-Hand sich verwandelte. Auf den Fingerknöcheln bildeten sich kleine Falten, Sehnen zeichneten sich unter der Haut ab und die Hand wurde weich und warm. Wurde zu Fleisch.
    Sie sah zwei Hände, zwei menschliche Hände. Kleine, zierliche Hände mit sorgfältig manikürten Nägeln. Sie bewegte die Finger der linken Hand, machte eine Faust und öffnete sie wieder.
    Sie musste kichern. Es gelang ihr tatsächlich. Ihr Zauber wirkte.
    Jetzt brauchte sie keine Handschuhe mehr. Sie konnte ja alle davon überzeugen, dass dies hier wirklich war.
    Von jetzt an würde sie niemand mehr als Cyborg erkennen.
    Diese Erkenntnis überwältigte sie fast.
    Aber dann – allzu schnell – flackerte ein orangefarbenes Licht in einer Ecke ihres Sichtfeldes auf und ihr Gehirn warnte sie vor einer Lüge. Dass dies nicht der Realität entsprach und es auch nie tun würde.
    Sie rappelte sich schwitzend auf und kniff die Augen zusammen. Gleich würde der Retina-Scanner all die kleinen Mängel an ihrer Hand entdecken – so wie er Levanas Zauber durchschaut hatte. Sie war wütend auf sich selbst. Und abgestoßen davon, wie schnell sie ihrem Bedürfnis nachgegeben hatte.
    Genau so machte es Levana. Sie unterjochte die Lunarier, indem sie ihnen Dinge vorgaukelte, die es nicht gab, und ihre Gefühle manipulierte. Sie regierte durch Angst, ja, aber auch durch Anbetung. Wie leicht war es, einen Menschen zu missbrauchen, wenn er den Missbrauch noch nicht einmal bemerkte.
    Als Cinder Thorne manipuliert hatte, war das kaum anders gewesen.
    Sie hatte ihn beeinflusst, ohne es überhaupt zu versuchen, und er hatte ihr gehorcht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
    Sie saß zitternd da, während Thorne in der Bordküche hantierte und vor sich hin summte.
    Wenn sie sich jetzt zu entscheiden hätte, wer sie war und wer sie sein wollte, dann wäre die erste Entscheidung leicht.
    Nie würde sie werden wie Königin Levana.

20
    Die Schienen der Magnetbahn hatten aufgehört zu summen. Nur die Geräusche ihrer Schritte im Unterholz und die Schreie von Zugvögeln waren zu hören. Die dichten Baumkronen ließen nur wenig Sonnenschein hindurch. Der Wald roch nach dem Saft der Bäume und dem herannahenden Herbst.
    Die Zeit zog sich endlos hin. Der Portscreen zeigte an, dass sie noch nicht einmal eine Stunde an den Gleisen entlangliefen, da erblickten sie den stillstehenden Zug auf freier Strecke. Scarlet fielen Geräusche auf, die nicht in den Wald gehörten – das Knirschen von Laufflächen auf Kieselsteinen und auf dem Waldboden, verursacht von einem Schwarm Androiden, der die Umgebung absuchte.
    Wolf verließ die Gleise, bahnte sich einen Weg durch das Unterholz und führte sie tiefer in den Wald hinein. Scarlet steckte den Port ein, um über umgestürzte Bäume klettern und Zweige und Spinnweben aus den Haaren ziehen zu können. Nach einer Weile setzte sie die Kapuze auf, so konnte sie zwar weniger sehen, fühlte sich aber nicht mehr so bedrängt von all dem Getier, das sich auf ihr niederlassen oder sie stechen wollte.
    Sie hangelten sich an den Wurzeln einer windschiefen Pinie auf eine Anhöhe hinauf. Von oben erkannte Scarlet das metallisch glitzernde Zugdach. Hier und da war die Silhouette eines Passagiers im Fenster zu erkennen. Scarlet wollte sich nicht ausmalen, wie es dort zuging. Bestimmt wussten sie inzwischen, um was für einen »medizinischen Notfall« es sich handelte. Wie lange würde es dauern, bis alle Reisenden getestet waren und entschieden wäre, ob man sie gehen ließ? Wie lange

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