Die Lust des Bösen
junge Frau; Lea sah ihre Brüste, sah ihre Hände und ihre Füße. Sie war gefesselt und aufrecht an einen der verkohlten Baumstämme gebunden.
Aber was war das? Sie hatte kein Gesicht. Ihre Augenhöhlen waren leer und schienen sie anklagend anzustarren.
Sie lief weiter auf die Gestalt zu. Das Gelände wurde zunehmend unwegsamer, und Lea konnte nicht mehr atmen.
Die Verfolger kamen näher. Sie wollte weiter, aber eine riesige Felswand türmte sich vor ihr auf. Wie gebannt starrte sie auf diese Wand, dann sah sie, wie etwas Rotes auf den Felsen spritzte. Blut!
Plötzlich schien alles in Dunkel zu versinken. Sie hörte merkwürdige Geräusche. Es waren nicht die schmerzverzerrten Laute des Mädchens. Vielmehr schien es eine dunkle, eine männliche Stimme zu sein. Lea konnte nichts verstehen, hörte nur das hämische Lachen, das diese Stimme begleitete.
Lea fröstelte. Wie angewurzelt stand sie da und hörte, dass sich ihre Verfolger näherten, hörte, wie dürres Reisig knackte, und sie spürte, wie sich ihr Vorsprung verringerte. Es gab keinen Ausweg, keine Fluchtmöglichkeit. Gleich würden sie sie erreicht haben.
Lea schreckte hoch.
Es war nur ein Traum, versuchte sie sich zu beruhigen.
Er war nicht real!
Aber wie oft schon hatte sie in letzter Zeit solche Albträume gehabt? Ständig wurde sie darin von dunklen Gestalten verfolgt, hörte Schreie oder sah misshandelte Frauengestalten. So intensiv wie heute waren die Träume selten.
Was wollte ihr Unterbewusstsein ihr damit sagen? Wieso gelang es ihr nie, sich umzudrehen, ihren gesichtslosen Verfolgern gegenüberzutreten oder sie abzuschütteln? Warum kamen sie immer näher? Wovor fürchtete sie sich? Vielleicht davor, zu versagen oder davor, unfähig zu sein zu handeln? Oder wollten diese Träume sie zu etwas ermutigen? Sollte sie stehen bleiben und sich ihren Problemen stellen, ihnen entgegentreten?
Sie schaute auf die Uhr, endlos langsam schien der Zeiger sich zu bewegen. Es war noch nicht einmal halb vier morgens. Vermutlich war es besser, jetzt aufzustehen, als sich stundenlang schlaflos im Bett herumzuwälzen.
Schließlich ging sie an ihren Schreibtisch, und während sie ihren Laptop anschaltete, schlich Arthur um ihre Beine. »Na, mein Lieber, du brauchst noch nicht aufzustehen«, meinte sie, während sie ihm liebevoll über sein weiches Fell strich.
Wie immer dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis ihr Laptop endlich hochfuhr. Vielleicht half ihr der Blick auf das Zeitgeschehen, sich abzulenken und ihren Traum zu vergessen. Ihre Finger zitterten erneut, und sie spürte, wie diese irreale Angst wieder in hier hochstieg. Aber wenigstens konnte sie wieder atmen. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, klickte den Tagesspiegel an und scrollte, noch ein wenig benommen, wahllos durch den Inhalt.
Plötzlich hielt sie elektrisiert inne: »Black Brothers«, stand über dem Artikel. »Haben die schwarzen Monster eine junge Frau in den Tod getrieben?«
Hellwach überflog sie den Text. Der General, wohl ein knallharter Neonazi, wurde mit dem Tod einer jungen Studentin in Zusammenhang gebracht. Vielleicht, überlegte Lea, sollte sie sich auf das Umfeld des Generals konzentrieren.
Von seiner Persönlichkeit her schien er zu ihrem Täter profil zu passen – er war ohne Einfühlungsvermögen, kalt und berechnend. Aber war er auch ein Mörder? Einen Mord konnte man ihm – zumindest in diesem Fall – nicht nachweisen. Das Mädchen hatte sich eindeutig selbst getötet. Allenfalls konnte man den General und seine Bande wegen Vergewaltigung drankriegen. Lea klickte den Link zum Video an: ein grauenhaftes, schreckliches Zeugnis kranker Fantasien und Begierden, aber Beweis genug.
Verdammt! Sie durfte nicht mit der Persönlichkeitsanalyse des Täters beginnen und daraus Schlüsse auf sein Verhalten ziehen. Nein! Sie musste es umkehren, musste mit dem Verhalten des Täters beginnen und sich daraus die Persönlichkeit erschließen. Wie hatte er sich hier verhalten?
Auf dem Video waren mehrere Männer zu sehen. Obwohl sie ausgesprochen brutal vorgingen, stand im Vordergrund eindeutig die sexuell motivierte Triebbefriedigung. Gewalt und Aggression waren also nicht Auslöser des sexuellen Lustgewinns, sondern Mittel zum Zweck.
Das passte nicht auf ihren Täter. Der war anders als die Tätergemeinschaft der Black Brothers – und das Entscheidende: Er war ein Einzelgänger. Ihm ging es primär um das Quälen und Töten und erst in zweiter Linie darum, seine sexuellen
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