Die Lust des Bösen
einzigartig machte: den »Hexenmarkt« hinter der Kirche St. Francesco. So wurde der lokale Markt in La Paz genannt, auf dem seit einigen hundert Jahren fliegende Händler mit rituellen Waren handelten.
Schon bei ihrem ersten Besuch hatte dieser Platz sie sofort in seinen Bann gezogen. Hier gab es nichts, was es nicht gab. Stundenlang konnte sie in die geheimnisvolle Welt der Hexen und Wahrsager eintauchen. Hier bekam man getrocknete Lamaföten, Schlangenfleisch und Teufelstropfen. Fliegende Händler aus Lima boten auch Liebestränke feil, Duftwasser, das Dollarscheine anzog, Badesalz gegen den bösen Blick und den Segen der sieben Erzengel in Seifenform. Und natürlich durften die Düfte nicht fehlen, die Frauen willenlos und Männer zu Hengsten machen sollten.
Diese Welt faszinierte Adilah – vielleicht auch gerade deshalb, weil sie ein willkommener Gegensatz zur strikt organisierten religiösen Welt darstellte, in der sie aufwuchs. Ihr Vater Palit war Rabbi in La Paz, einer kleiner jüdischen Gemeinde im Herzen Boliviens. Und diese Gemeinde war in der Tat etwas ganz Besonderes, denn ihre Synagoge lag viertausend Meter über dem Meeresspiegel und somit höher als jede andere Synagoge Boliviens. Die Mitglieder hier seien beim Beten Gott so nah wie keine andere jüdische Gemeinde dieser Welt, hatte ihr Vater immer gern gescherzt. Mit gerade einmal siebenhundert Juden, die in diesem armen und mehrheitlich katholischen Land im Herzen Südamerikas lebten, war die Gemeinde eher klein. Aber Palit sagte immer: »Wir sind eine kleine, aber sehr aktive Gemeinschaft.«
Als kleines Mädchen und später als junge Frau war Adilah mit ihm in der Gemeinde unterwegs gewesen, die praktisch ihre zweite Heimat war. Jeden Freitagabend und jeden Samstagmorgen hatte sie mit ihrem Vater Sabbat gefeiert. Zweimal pro Woche unterrichtete ihre Mutter dann die Kinder in Hebräisch und jüdischer Geschichte. Als ihre Familie damals aus Buenos Aires nach La Paz gekommen war, war die Gemeinde schon zwanzig Jahre lang ohne religiöses Oberhaupt gewesen und im Laufe der Zeit immer kleiner geworden.
Erst später kamen Juden in großer Zahl in das kleine Binnenland: Lebten 1933 weniger als dreißig jüdische Familien in Bolivien, so wuchs ihre Gemeinde in den Jahren nach dem Holocaust auf zehntausend Personen an. Gleichzeitig öffnete die bolivianische Regierung allerdings auch vielen Nazi-Kriegsverbrechern die Tür.
»Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen starken Antisemitismus hier«, erzählte ihr Marek, eines der ältesten Mitglieder der Gemeinde, einmal. Der Dreiundsiebzigjährige, einer der wenigen Überlebenden des Warschauer Gettos, war damals nach Bolivien geflohen. Antisemitische Übergriffe aber gab es hier eher selten. Manchmal pinselten irgendwelche Leute Hakenkreuze an die Wände der Synagoge, zum Beispiel, als der Film »Schindlers Liste« in den Kinos gezeigt wurde. Dennoch verhielten sich die jüdischen Einrichtungen in Bolivien – wie auch in einigen anderen Ländern Lateinamerikas – betont unauffällig. Die meisten Treffpunkte waren der Öffentlichkeit nicht bekannt und wurden dennoch von bewaffneten Wächtern geschützt. Trotzdem war ihr Vater, so betonte er selbst immer wieder, in Bolivien niemals diskriminiert worden. Im Gegenteil: Es sah so aus, als ob die Menschen hier sie mochten.
Dann kam der Tag, der Adilahs Leben von Grund auf verändern sollte. Gemeinsam mit einem protestantischen Pfarrer aus Deutschland und einem katholischen Priester hatte ihr Vater ein Krankenhaus in einem sehr armen Stadtteil von La Paz errichtet. Adilah war bei der Feier zur Einweihung gerade dreiundzwanzig Jahre alt und hatte vor ein paar Monaten an der heimischen Universidad Simón Bolívar begonnen, Psychologie zu studieren. Die Menschen und besonders die Presse feierten die Eröffnung geradezu frenetisch, denn die medizinische Versorgung war in den letzten Jahren in diesem Stadtteil immer schlechter geworden. Kein Arzt hatte sich mehr hier niederlassen wollen, denn das Viertel war wegen der großen Armut einfach zu unattraktiv. Niemand hier konnte sich eine Behandlung leisten. Mit dem neuen Krankenhaus, das von Sponsoren und privaten Stiftungen unterstützt wurde, hofften viele jetzt auf die Wende: eine bessere Versorgung für alle.
Adilah war auf Bitten ihres Vaters gekommen, um sich das alles anzusehen, und sie war mehr als beeindruckt. Viel Arbeit und noch mehr Herzblut hatte er in dieses Projekt gesteckt, und sie war
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