Die Lust des Bösen
beziehungsweise Organisationen es gab, die sich im Sammelbecken der Neonazis tummelten. Und das, so viel könne er schon jetzt verraten, seien so viele, dass er sie hier nicht alle aufzählen könne. Es sei wohl eine Tatsache, dass diese Organisationen in den letzten Jahren praktisch unbeobachtet wie Pilze aus dem Boden geschossen wären. Vielfach mit diffusen, unklaren Zielsetzungen, bisweilen sogar völlig ohne Zielkonzeption, sodass man nicht wisse, wofür sie einstünden. Häufig wären ihre vermeintlichen Ziele sogar so unklar und widersprüchlich, dass man sie nicht unter einen Hut bringen könne.
»Einige davon arbeiten sogar im Untergrund«, ergänzte der Parteichef resigniert. Mike zeigte mit seinem Laserpointer auf die erste Folie seiner Präsentation.
»Was wir hier sehen, liebe Parteifreunde, ist eine deutschland weite Bestandsaufnahme. Die Zentren, in denen besonders viele dieser Organisationen aktiv sind, habe ich schwarz eingefärbt, die anderen mit geringer Aktivität sind rot und die mit weniger Aktivität gelb. Besonders die Gebiete um Berlin, in Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Hessen sind schwarz eingefärbt, das heißt, hier gibt es besonders hohe Aktivitäten.«
»Und das genau ist das Problem«, klinkte sich Dick in die Präsentation ein. »Wenn wir es nicht schaffen, uns abzugren zen von den anderen schwarzen Gruppierungen, haben wir verloren. Dann werden wir auch in Berlin«, und er schaute jetzt seinen Chef direkt an, »in deinem Heimatwahlkreis, in dem du bei der letzten Wahl besonders viele Stimmen geholt hast, mit Pauken und Trompeten untergehen.«
»Stopp«, unterbrach Jack den Vortrag und bat seinen Berater, erst einmal das Ende der Präsentation abzuwarten, bevor er voreilige Schlüsse zog. Mike ließ sich nicht lange bitten und fuhr fort.
»Hier«, so erläuterte er, »sehen wir die besonders problematischen, radikalen und gewaltbereiten Gruppierungen.« Er deutete auf die nächste Seite. »In den letzten Jahren hat die Anzahl der tätlichen Übergriffe, die von den Kameradschaften verübt wurden, rasant zugenommen. Mal waren es die Initiatoren von Wohnprojekten, die ihnen nicht ins Konzept passten, mal Ausländerwohnheime, die ihren Zorn heraufbeschworen. Besonders die Kieler Kameradschaft ist auffällig geworden. Dort ist besonders brisant, dass die Führungsmannschaft in immer kürzeren Abständen wechselte. Erst kürzlich verübten der ehemalige Parteiführer Peter Paulus und sein Stellvertreter Günter Pohls gemeinsam Selbstmord.«
»Selbstmord? Das ist interessant«, überlegte Braun. Waren die Machenschaften ihrer Kameraden vielleicht so schändlich und brutal, dass sie es nicht mehr ausgehalten hatten? So unvorstellbar, dass sie Suizid als letzten Ausweg gesehen hatten? Was war wohl los in der Kieler Gruppe?
Immer mehr Fragen ergaben sich, und der sonst so dyna mische und eloquente Parteichef wirkte nachdenklich und bedrückt. Er wusste nicht, wie er all die Probleme in den wenigen Wochen, die ihnen noch blieben, lösen sollte. Den letzten Bundestagswahlkampf hatten die Kameraden in Kiel jedenfalls nur mäßig erfolgreich geführt. Einmal mehr wurde deutlich, dass die Kie ler Gruppe ohne Unterstützung von Einzelpersonen nicht in der Lage war, dauerhafte Aktivitäten zu entfalten. Und wenn diese Einzelpersonen für die Gruppe zu unbequem wurden, mobbte man sie oder trieb sie in den Suizid? So wie dieses junge Mädchen, das die Black Brothers auf dem Gewissen hatten?
Mehr und mehr bekam Jack eine Ahnung von der Funk tionsweise und den Ausmaßen der rechten Gruppierungen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er wusste, dass er etwas tun musste und dass er schon längst hätte handeln müssen.
Es klopfte. Dick wollte aufstehen und die Tür öffnen, aber Jack hielt ihn zurück.
»Nicht jetzt, Dick. Nichts kann so wichtig sein wie das hier.« Gerade hatte sich der Wahlkampfmanager wieder auf seinen Platz begeben, als jemand erneut lebhaft gegen die Tür des Konferenzzimmers hämmerte.
»Da ist aber einer hartnäckig.« Jack wurde ungehalten und stand auf. »Verdammt noch mal, wer stört unsere wichtige Sitzung? Ich habe doch unmissverständlich klargemacht, dass wir nicht unterbrochen werden wollen.«
Er öffnete.
»Lea!«, brachte er erstaunt hervor.
»Ja, ich muss mit dir sprechen, es ist wichtig.«
»Gut, lass uns noch fünf Minuten, dann sind wir durch. Setz dich kurz zu uns.«
Obwohl Lea ihre Fragen auf der Seele brannten und sie keine Lust hatte,
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