Die Lust des Bösen
auch nur eine Minute länger als unbedingt nötig zu warten, befolgte sie doch Jacks Aufforderung.
»Gut, lasst uns zu Ende kommen«, warf Jack in die Runde und beobachtete Lea aus den Augenwinkeln.
»Wie sieht es mit den extremen, gewalttätigen Gruppierungen aus? Gibt es hier aktuell etwas zu berichten?«
»Ja, leider«, konstatierte der Analyst. »In Hessen hat vor einigen Tagen eine Gruppe der Freien Nationalisten den jüdischen Friedhof in Frankfurt geschändet. Die radikalen Nationalisten haben ein Ferkel aufgeschlitzt und es vor den Gedenkstein gelegt, der an siebentausend KZ-Häftlinge erinnerte, die in den ersten Maitagen des Jahres 1945 ihr Leben ließen. Dann haben sie den Stein in roter Farbe mit mehreren Hakenkreuzen beschmiert. Als ein Besucher des Friedhofs, ein wehrloser älterer Mann, ihnen in die Quere gekommen ist, haben sie ihn fast zu Tode geprügelt.
Das waren in groben Zügen die Aktivitäten der neonazistischen Vereinigungen und ihrer Kameradschaften«, schloss der Analyst seine Ausführungen. »Dazu kommen noch die Klein- und Kleinstgruppierungen wie die Black Brothers und viele andere, die wir nicht erfassen konnten, weil sie in der politischen Diskussion nicht auftreten.«
Die Black Brothers, überlegte Lea, interessant. Die ganze Zeit über hatte sie Jack aufmerksam beobachtet und nicht den Eindruck, dass er etwas verbergen wollte.
»Danke, Mike«, schloss der Parteichef und lobte den detaillierten Vortrag. »Das war wirklich gute Arbeit.« Wenngleich er entsetzt war über das wahre Ausmaß der Gewalt, versuchte er doch, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen.
»Prima«, unterbrach sein Wahlkampfmanager abrupt und aufgebracht seinen Vorgesetzten, »das ist ja, lasst es mich mal deutlich formulieren, ein riesiger brauner Haufen Scheiße, der sich da vor unseren Augen auftürmt.«
Jack war sich sicher, dass Dick recht hatte. Für ihn als Parteivorsitzenden gab es nur eine Möglichkeit: Er musste sich sofort und so offen wie möglich von diesen Gruppierungen und ihren vermeintlichen Zielsetzungen distanzieren. Nur dann hatte die Partei eine Chance, ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren.
Jack wirkte müde und in sich gekehrt, als sich die Tür des Konferenzraumes hinter seinen Mitarbeitern geschlossen hatte. Er sah hinüber zu Lea und setzte sich neben sie. Endlich waren sie allein.
Sein Gesicht kam dem ihren nahe, so nahe, dass sie seinen Atem spüren konnte. Gleich wird er mich küssen, dachte sie und wich ein Stück zurück.
»Was ist mit dir?«, fragte Jack sichtlich irritiert. »Ich habe mich so gefreut, dich zu sehen«, sagte er mit warmer Stimme. »Du bist der Lichtblick in meinem Leben, in dem im Moment einfach alles wie verhext ist. Alles scheint sich gegen mich verschworen zu haben.«
Fast tat es Lea leid, ihn jetzt auch noch mit ihren Ermittlungsergebnissen zu behelligen, aber die Indizien waren einfach zu stark, als dass sie sie hätte ignorieren können. Sie holte kurz Luft und sagte Worte, die sie wie auswendig gelernt abspulte: »Jack, ich muss dir leider sagen, dass du zum Kreis der Verdächtigen gehörst.«
»Wie meinst du das?«, fragte der Parteichef fassungslos.
»Nun, unsere Ermittler konnten nachweisen, dass das Vergewaltigungsvideo der Black Brothers und eine Mail an das Opfer von deinem Notebook gesendet wurden.«
»Von meinem Laptop! Ausgeschlossen!«, wiegelte Jack entgeistert ab. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich etwas mit der Vergewaltigung und dem Tod der jungen Frau zu tun habe?«
Wütend sprang er auf. »Das ist doch nicht dein Erst, oder? Du willst mich doch nicht in einen Topf mit den kriminellen Machenschaften der Black Brothers werfen?«
»Nein, Jack, du weißt, dass ich das nie tun würde. Aber die Indizien sprechen leider eine andere Sprache. Eigentlich müsste ich dich jetzt verhaften.«
Enttäuscht sah er sie an. »Ich dachte immer, du vertraust mir.«
»Bitte gib mir einen Grund, dir zu vertrauen. Nur einen einzigen«, flehte sie. »Jack, ich habe dir immer vertraut. Und auch jetzt noch möchte ich dir helfen, aber ich weiß nicht, wie!«
»Dann musst du wohl tun, was du tun musst«, forderte er sie auf. »Verhafte mich!«
A ls kleines Mädchen war Adilah oft durch die Innenstadt von La Paz flaniert, die sich auf den ersten Blick nur unwesentlich von anderen Großstädten unterschied. Leuchtreklamen, Plakate, Einkaufsmöglichkeiten und moderne Bürogebäude beherrschten das Bild. Aber etwas gab es, das diese Stadt für sie
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