Die Lust des Bösen
sie monatlich über die Runden kommen sollte.
Ihren Vater konnte und wollte sie auf keinen Fall um Unterstützung bitten, wusste sie doch, wie sparsam ihre Eltern waren und wie einfach sie lebten. Also hatte sie sich etwas überlegen müssen. Die flippige Jessi hatte ihr schließlich einen Nebenjob als Kellnerin in einem Literaturcafé ganz in der Nähe besorgt. Damit konnte sie sich zumindest die erste Zeit gut über Wasser halten. Aber für wirklich große Sprünge reichte es nicht.
Es war ein schöner Frühlingstag, als Adilah am Tresen des Literaturcafés stand und die Espressomaschine reinigte. »Nicht viel zu tun heute«, bemerkte ihre Kollegin gerade etwas gelangweilt, und in der Tat schien dieser Tag kein Ende nehmen zu wollen. Normalerweise war es um diese Uhrzeit brechend voll in dem kleinen Café.
Da betrat ein Mann den Raum, den sie neugierig musterte. Auf den ersten Blick ein windiger, eine Spur zu arroganter Typ, fand sie. Vermutlich hätte sie ihm außerhalb des Cafés keine weitere Beachtung geschenkt, aber als Bedienung musste sie ja seine Bestellung aufnehmen.
Sofort hatte der eigenwillige Gast ein Auge auf die attraktive junge Frau geworfen, die für ihre vierundzwanzig Jahre ver dammt jung aussah. Er fand sie mit ihren schlanken Beinen und ihren blond gesträhnten Haaren ausgesprochen sexy.
Sie spürte seine Blicke und war verunsichert.
Er flirtete mit ihr – und zwar offensiv und ungeniert.
»Bin ich tot, Engel?«, fragte er die verdutzte Südamerikanerin. »Denn dies hier muss der Himmel sein! Wow, wie wunderschön du bist! Schenk mir noch einmal dieses bezaubernde Lächeln!«
Das Eis war gebrochen, und Adilah musste schmunzeln.
»Wie wäre es«, fragte er sie schließlich, als sie ihm die Rechnung brachte, »wenn du mich mal zum Essen begleitest und mir meinen Abend versüßt? Hier ist meine Visitenkarte, ich würde mich sehr freuen.«
Der Kerl war viel zu sehr Profi, als dass er nicht sofort erkannte, welch ungeschliffener Rohdiamant da vor ihm stand.
Adriano, so hieß der Mann laut Karte, hatte sein bezauberndes Herzensbrecher-Lächeln aufgesetzt, das er jederzeit herausholen konnte, wenn er es brauchte.
Eigentlich war er kein üblicher Frauentyp und ganz und gar kein klassischer Schönling mit Anzug und Krawatte. Er war groß, ziemlich muskulös, hatte einen rasierten Schädel, helle Augen und einen eigenwillig gestutzten Eckbart. Aber er hatte dennoch eine große Wirkung auf Frauen, und er war sich sicher, dass er dieses junge Mädchen hier an der Angel hatte. Sie würde ihn anrufen.
Die Studentin aber wusste noch nicht so recht, was sie mit dieser Karte anfangen sollte. Zurück hinter dem Tresen drehte sie sie in ihren Händen hin und her, als ob sie dabei die Antwort finden könnte.
Selbstbewusst und sehr selbstsicher war er aufgetreten, dieser Typ, aber auch auf eine Art erfrischend. Die Lebenslust und die Unbeschwertheit, die er ausstrahlte, zogen sie an. Er schien so gänzlich anders zu sein als die Männer, die sie vor ihm kennengelernt hatte – unkompliziert und humorvoll. Warum eigentlich nicht? Warum sollte sie sich nicht einmal selbst überwinden und etwas tun, das noch vor einigen Monaten unvorstellbar für sie gewesen wäre? Einen Mann anrufen, noch dazu einen, den sie überhaupt nicht kannte! Irgendwann demnächst!
Aber schon am nächsten Tag, sie hatte gerade die Spülmaschine ausgeräumt und die Küche der kleinen WG auf Vordermann gebracht, konnte sie ihre Neugierde nicht mehr im Zaum halten und wählte die Nummer, die auf der Karte stand.
L ea Lands stieg in ihren Leihwagen, einen 3er-BMW, und verließ das Parkhaus des Flughafens Klothen in Richtung Zürich. Wieder war sie mit ihren Gedanken bei Jack. Wie gern hätte sie ihm all das erspart. Aber die Beweislage hatte keine andere Möglichkeit zugelassen, als ihn damit zu konfrontieren. Und doch meldete sich wieder ihre Intuition. Da war kein bestätigendes Prickeln im Bauch, das sie verspürte, nein. Es war ein Gefühl der Verspannung, das sich hartnäckig in ihrem Nacken bemerkbar machte. Irgendetwas stimmte da nicht. Was, überlegte sie, wenn jemand ihm die Beweise untergeschoben hatte? Wenn ein anderer sein Notebook benutzt hatte, um die Videos einzustellen und die E-Mail zu senden? Linus!, schoss es ihr plötzlich in den Kopf. Natürlich. Er war einfach überall, und auch bei dem Meeting war er dabei gewesen.
Aufgeregt kramte sie ihr Handy aus ihrer Tasche und wählte die Nummer ihres Kollegen
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