Die Lust des Bösen
dem Zweifel und all dem Unvorhersehbaren gab es doch eines, das ihm Sicherheit gab: Sein Wille – er wollte es versuchen! Nur wenn er dieses Wagnis einging, konnte es einen Neuanfang geben.
Lange sah er Lea einfach nur an. Ihr Gesicht wirkte verändert, fast so, als ob sie lächeln und ihm sagen wollte, dass alles gut werde.
Wenig später kam eine junge Assistenzärztin ins Zimmer und ermahnte ihn zu gehen.
»Herr Braun, Sie müssen jetzt wirklich das Zimmer verlassen, Frau Lands braucht Ruhe, absolute Ruhe. Wir werden Sie informieren, sobald sie aufgewacht ist. Aber jetzt helfen Sie ihr, wenn Sie nach Hause fahren und ihr Zeit geben, wieder gesund zu werden. Glauben Sie mir.«
Zwei Stunden später erwachte die Kommissarin langsam. Es dauerte eine Weile, bis sie realisierte, wo sie war. Ein Krankenzimmer! Was war passiert? Wo war sie zuletzt gewesen? Sie versuchte, sich zu erinnern, aber ihr Kopf war leer. Wie ausge löscht. Und je mehr sie sich anstrengte und ihr Hirn zermarterte, desto mehr verweigerte es den Dienst. Vielleicht musste sie sich einfach Zeit geben, Geduld haben.
Doch in dem Augenblick, als sie losließ und versuchte wieder einzuschlafen, kamen Stück für Stück Erinnerungsfetzen zurück. Da war diese Landstraße, der große schwarze LKW.
In ihrem Kopf hämmerte und pochte es. Und dann quälte sie die Assistenzärztin mit ihren Fragen.
»Können Sie mich hören? Können Sie mir Ihren Namen sagen?«, fragte sie.
»Ja«, murmelte Lea etwas schwerfällig, und es war, als ob sie für die paar Buchstaben eine halbe Ewigkeit brauchte.
Die Ärztin war zufrieden und lächelte. »Das wird schon wieder, Frau Lands.«
»Was ist mit mir passiert?«, fragte die Profilerin, noch immer leicht benebelt.
»Sie hatten einen Unfall mit ihrem Motorrad und haben ein Schädel-Hirn-Trauma und mehrere Prellungen erlitten. Und vermutlich leiden Sie unter einer retrograden Amnesie, sodass sie sich an den Unfallhergang nicht mehr erinnern können. Aber jetzt müssen Sie mir versprechen, noch etwas zu schlafen«, bat die Ärztin. »Sie dürfen sich auf keinen Fall überanstrengen.«
Unterdessen stellte der routinierte Kommissar Hofmann sich ständig dieselbe Frage: »Wer könnte ein Interesse an Leas Tod gehabt haben?«
Langsam begann auch er an seinen Fähigkeiten und an seinem Spürsinn zu zweifeln, die ihn bis dato nie im Stich gelassen hatten. Warum also jetzt? Verdammt! Die Lösung war sicher ganz einfach – und lag direkt vor ihm. Er musste nur noch zugreifen! Aber ein weiblicher Täter? Das ergab keinen Sinn. Eine Frau, die die Bremsleitungen durchtrennt haben sollte? Und der männliche Serienmörder, dem sie so dicht auf den Fersen waren und der am ehesten ein Motiv hatte – ausgerechnet der sollte als Täter ausscheiden? Aber so sehr Max sich auch den Kopf zerbrach, er kam einfach nicht weiter.
S eit Langem schon wusste Mirja, dass da etwas nicht stimmte. Vor einigen Tagen hatte sie Sam dann direkt gefragt, ob er sie betrog. Er hatte nur gelacht und alles abgestritten.
Zunächst hatte sie sich damit zufrieden gegeben, wollte die sorgenvollen, schwermütigen Gedanken verdrängen – aus Angst vor dem Schmerz. Doch mit jedem Tag nahmen ihre Zweifel zu, wurde ihr Verdacht konkreter und ließ sich nicht mehr ignorieren.
Dann kam die Wut: Fünfundzwanzig Jahre sind einfach eine verdammt lange Zeit, und wie oft hatte sie zurückgesteckt für diese Beziehung? Es gibt immer unterschiedliche Wünsche in einer Partnerschaft und beim Sex, das ist doch normal. Aber hatte sie das nicht immer berücksichtigt und stets versucht, ihm alles recht zu machen? Und bei all ihrer Fürsorge für ihn war sie selbst mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Sehnsüchten auf der Strecke geblieben.
Nie hatte sie darüber nachgedacht, was ihr eigentlich wichtig war und was sie wollte. Immer war es nur darum gegangen, welche Vorstellungen und Wünsche Sam hatte. Er gab die Richtung ihrer Beziehung vor und traf alle wichtigen Entscheidungen. Und vielleicht war es für Mirja auch all die Jahre bequem gewesen, einen Partner zu haben, der sagte, wo es langging.
Aber eine gute Ehe ist mehr! Mehr als nur Verantwortung, die einem abgenommen wird, mehr als gemeinsam aufzuwachen. Sie wollte nicht mehr nur das nette Anhängsel sein, die Freundin, die er zum Reden brauchte, oder die Frau, die da war – wie ein zahmes, domestiziertes Haustier.
Jetzt wollte sie dafür sorgen, dass sie die Achtung, den Respekt, die Anerkennung und die Liebe
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