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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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Bemühungen keinen Erfolg gehabt.
    »Was also könnte es sein«, fragte die Rechtsmedizinerin in die Runde, »das bei einem so jungen Mann zum Tode geführt hat? Schauen wir ihn uns einmal genauer an. Kommen Sie ruhig etwas näher heran.«
    Sie begannen ihre Untersuchung am Kopf und schauten sich an, ob dort Blut oder andere Verletzungen zu sehen waren, die zum Tode geführt hatten. Dies war nicht der Fall. Wie sie auf dem rosafarbenen Aufkleber am Fuß der Leiche sehen konnten, war der Mann am 12. Oktober gestorben und lag demnach schon sechs Tage in der Kühlbox.
    »Auf welche Zeichen würden Sie zuerst achten?«
    »Auf die Leichenstarre«, hatte einer der Teilnehmer geantwortet.
    »Richtig!«
    Am Kinn war sie ausgeprägt; dort waren immer zuerst Anzeichen für eine beginnende Leichenstarre zu finden. Jetzt warfen sie noch einen Blick auf den Zahnstatus. Die Assistenzärztin hatte enthusiastisch den Mund der Leiche geöffnet, hineingeschaut und festgestellt: »Also, in unserem Fall ist der Zahnstatus unauffällig, und zudem erhält er auch keine weitere Bedeutung für die Identifizierung der Leiche, denn wir haben ja durch die Freundin den Namen. Ich werde die Leiche jetzt auf die Seite drehen und nachsehen, ob wir auf seinem Rücken etwas Auffälliges finden können, was uns weiterhilft.«
    Leas Interesse war geweckt gewesen. Zögerlich und neugierig war sie näher zum Untersuchungstisch herangetreten und hatte auf seinem Rücken die typischen violetten Leichenflecken gesehen, die durch einige hellrote Streifen unterbrochen waren.
    »Die hellroten Flecken resultieren aber nicht etwa aus einer Kohlenmonoxid- oder Zyankalivergiftung«, hatte die Ärztin ausgeführt, »sondern schlichtweg aus der Aufbewahrung in der Kühlbox. Ansonsten sehen wir violette Leichenflecke.«
    Der Rücken wies keinerlei Spuren von Gewalteinwirkung oder andere sichtbare Verletzungen durch Sturz oder Ähnliches auf.
    »Lassen Sie uns noch einen Blick auf den After der Leiche werfen. Vielleicht gibt es dort Anzeichen von Verletzungen«, hatte die Ärztin die Gruppe aufgefordert. Aber auch hier gab es nichts Auffälliges. Keine Spuren, die auf ein Sexualdelikt hindeuteten, weder Blut noch fremde Schamhaare.
    »Okay, meine Damen und Herren, wir drehen ihn jetzt wieder auf den Rücken und fahren mit unserer Untersuchung fort. Ich schaue mir nun die Arme des Verstorbenen an. Am linken Oberarm können wir etwas Auffälliges wahrnehmen – einige punktförmige kleine Einstichstellen. Was könnten wir jetzt vermuten?«
    Lea hatte gemutmaßt, dass es sich um einen Drogenabhängigen handeln könnte.
    »Wäre möglich«, bestätigte die Ärztin, denn die Polizei hatte bei dem Mann unter dem Bett mindestens achtzig benutzte Spritzen gefunden.
    »Schauen wir mal weiter.«
    In seiner Leistengegend fielen Lea zwei fingerdicke, dunkle Löcher auf, die wie Einstichstellen aussahen. Dann sahen sie sich die Beine und Füße des Toten an.
    »Wissen Sie«, sagte die Assistenzärztin damals, »die Füße sind immer das Ekligste am Menschen. Aber diese Füße sehen noch gut aus im Vergleich zu dem, was ich schon alles gesehen habe.«
    Jetzt durften alle die Leiche anfassen, um zu spüren, wie sie sich anfühlte. Eines hatte die Rechtsmedizinerin allerdings besonders betont: Nie sollten sie zu stark an den Kehlkopf drücken, um eine Verletzung zu prüfen. Denn schon der kleinste Druck konnte zu einem Bruch des Kehlkopfes führen, was dann wiederum zu falschen Schlüssen Anlass geben könnte.
    Gebannt hatte Lea damals den Ausführungen der jungen Assistenzärztin zugehört.
    Es war spannend, was man alles am Körper einer Leiche ablesen konnte, ohne sie geöffnet zu haben. Und übel war ihr auch nicht geworden. Aber in dem Moment, als es vorbei war, sie die OP-Handschuhe abstreifte und sich mit der Desinfektions lösung die Hände abspülte, war es da – dieses dumpfe Gefühl in der Magengegend. Keine Übelkeit, sondern ein bedrückendes, seltsam melancholisches Gefühl, das den ganzen Körper erfasste.
    Auf dem Nachhauseweg hatte sie das Bild der Leiche einfach nicht abschütteln können. Es war da, die ganze Zeit, und es begleitete sie.
    Das Schaurigste an allem waren für sie seine offenen, glanzlosen, milchigen Augen gewesen, deren Augäpfel so aussahen, als seien sie in ihre Höhlen gedrückt worden. Die Assistenzärztin hatte die Lider zur Untersuchung mit einer Plastikpinzette leicht zurückgeklappt, um zu prüfen, ob Einblutungen zu sehen waren. Dieser

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