Die Lust des Bösen
bedankte sich beim Leadsänger der Band auf das Herzlichste.
»Toll, dass ihr gekommen seid, hierher, auf diesen wunderschönen, einmaligen Platz deutscher Geschichte. Und wir alle hier werden heute gemeinsam ein neues Kapitel Geschichte schreiben.«
Die Menge johlte laut und klatschte. Unterdessen verließ die Band die Bühne, und Jack begann seine Rede mit einer Frage: »Wie lange schon müssen Sie alle massive Lohneinbußen, eine steigende Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheiten hinnehmen?«
Einige aus dem Publikum brüllten: »Viel zu lange!«
Jack war in seinem Element. »Genau. Denn die soziale Frage ist zu einer Schlüsselfrage unserer Zeit geworden. Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit in unserem Land sind eine direkte Folge von Zuwanderung, EU-Fremdbestimmung und Globalisierung.« Davon war er überzeugt.
»Wir dürfen nicht zulassen, dass wir unsere Selbstbestimmung durch Institutionen wie die Europäische Union, die UNO oder die WTO verlieren. Schließlich stehen wir als Nationalpartei für die Schaffung von Arbeitsplätzen für alle Deutschen. Wir setzen uns ein für die Einführung branchenübergreifende r Mi ndestlöhne, weil sich Arbeit für alle wieder lohnen muss. Jemand, der arbeitet, muss endlich wieder mehr Geld in d er Tasche haben als ein Hartz-IV-Empfänger«, fuhr er fort. »Wir stehen auch für steuerliche Entlastungen für kleine und mittlere Einkommensbezieher und nicht nur für die Großverdiener. Nur so können wir die Massenkaufkraft stärken und den Wirtschaftsmotor wieder anwerfen. Und meine Damen und Herren«, der engagierte Redner machte an dieser Stelle ein kleine Pause, bevor er fortfuhr, »wir schaffen Arbeit, indem wir die Einwanderung stoppen und Ausländer in ihre Heimatländer zurückführen.«
»Genau!«, brüllten einige der versammelten Arbeiter.
Jack freute sich, wusste er doch, dass er mal wieder den richtigen Ton getroffen hatte.
»Masseneinwanderung und Massenarbeitslosigkeit stehen nämlich in einem engen Zusammenhang: Wenn ein Ausländer Arbeit hat, besetzt er einen Arbeitsplatz, den grundsätzlich auch ein Deutscher, einer von uns einnehmen könnte; und wenn ein Ausländer keine Arbeit hat und deshalb Sozialleistungen bezieht, belastet er den Sozialstaat. Ob mit Arbeit oder ohne – jeder Ausländer nimmt uns Deutschen Arbeit und Sozialleistungen weg. Wollen wir das ändern?«
»Ja!«, tönte es ihm von einer wütenden, jubelnden Menge entgegen.
»Deutschland«, so erklärte er der emotional aufgeheizten Masse, »muss das Land der Deutschen bleiben und muss es dort, wo dies nicht mehr der Fall ist, wieder werden.
Wir, meine Damen und Herren, lehnen alle sogenannten multikulturellen Gesellschaftsmodelle – die von so vielen Parteien hier propagiert werden – ab. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Nichtdeutsche uns entwurzeln und der Fremdbestimmung durch Wirtschaft, Medien und Politik ausliefern. Wir werden der ethnischen Einwanderung genauso entschieden entgegentreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung.«
Noch knapp sechzig Minuten redete er mit derartigen Parolen, und sein Publikum war begeistert.
Auch Lea war inzwischen auf dem Gendarmenmarkt eingetroffen, genervt, weil sie lange vergeblich nach einem Parkplatz gesucht hatte. Unvermittelt blieb sie wie elektrisiert stehen: Da war sie wieder, diese einschmeichelnde, sanfte und zugleich kraftvolle Stimme.
Sie versuchte einen Blick über die Köpfe der Menschenmenge zu werfen und sah ihn – den romantischen, gut aussehenden Fremden von neulich Abend. Sofort verspürte sie erneut diese Aufregung, eine Spur zu viel von dem Adrenalin, das einem den Kopf verdrehen kann.
Auch die Medien waren inzwischen auf den smarten Kandidaten der Nationalpartei aufmerksam geworden, der nicht nur so anders war als die Politiker der renommierten Bundesparteien, sondern auch anders als die bisherigen Kandidaten der Nationalpartei selbst.
Einige Regionalsender, TV Berlin und der rbb waren mit Ü-Wagen und Reportern vor Ort.
Ja, dachte Lea, Jack war wohl wirklich anders als alle anderen Männer. Dass er ausgerechnet der Spitzenkandidat der rechten Nationalpartei war, das konnte sie allerdings noch immer nicht glauben. Aber viel wichtiger als das war jetzt für sie die Frage, wie sie an ihn herankommen konnte. Vermutlich würden sich die Reporter gleich auf ihn stürzen und die begeisterten Leute noch viele Fragen an ihn haben.
Sie versuchte sich weiter zu ihm
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