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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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Schauen Sie, ich sitze vor Ihnen, und jeder kann mich sehen. Damit bin ich nicht geheimnisvoll oder außerirdisch. Ich denke, jeder Wähler und jede Wählerin muss das für sich selbst beantworten. Und Erfolg? Ich glaube, es ist noch etwas verfrüht, von Erfolg zu sprechen. Warten wir die Wahl erst einmal ab, und dann schauen wir weiter …«
    Seine Antworten waren klar und pointiert. Die meisten Journalisten hatten schon viele solcher Pressekonferenzen erlebt, und immer waren es die gleichen Kandidaten und Antworten, die sie dort bekamen.
    »Herr Braun, Ihrer Partei hatte es bisher an einer Führungs- und Identifikationsfigur gemangelt. Und jetzt kommen Sie daher! Sehen Sie sich als eine Art Gregor Gysi der Nationalpartei?«
    Bei diesem Vergleich musste Jack lächeln.
    »Also, ich weiß nicht, ob ich nun lachen oder weinen soll, denn als Gregor Gysi habe ich mich nie gesehen. Schauen Sie mich doch an. Sehe ich etwa aus wie er?«
    Und wieder hatte er die Lacher auf seiner Seite. Es war eine Pressekonferenz ganz nach seinem Geschmack: etwas heiter und vor allem unerwartet.
    Einer der Vertreter der schreibenden Zunft wollte wissen, was die Nationalpartei in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt habe. Das sei so einfach wie simpel, meinte Jack. Im Mittelpunkt ihrer nationalen Politik stünden eben nicht die Profitinteressen multinationaler Konzerne oder Banken, sondern das Wohl eines jeden Deutschen in einer gerechten und solidarischen Gemeinschaft.
    »Und wie halten Sie es mit den Ausländern?«, fragte einer der älteren Kollegen.
    »Nun, Sie müssen ganz sicher nicht befürchten, dass die Nationalpartei irgendwelche Hetzkampagnen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen anzettelt – nicht aus politischen, nicht aus ethischen und auch nicht aus religiösen Gründen.«
    »Und, verehrte Pressevertreter», fuhr er fort, »wir bekennen uns selbstverständlich zu der Verantwortung, die wir alle aufgrund unserer deutschen Geschichte zu tragen haben. Sie werden ganz sicher niemanden in unserer Partei finden, der die Gräueltaten der Nationalsozialisten oder gar den Holocaust leugnet. Aber in einem werden Sie mir sicher zustimmen: Deutschland kann schon allein wegen seiner geringen Landfläche und seiner hohen Siedlungsdichte kein Einwanderungsland sein. Wir stehen deshalb für eine klare Regulierung der Einwanderung: Nur wenn wir die freien Stellen nicht aus eigener Kraft mit qualifiziertem Personal besetzen können, nur dann wollen wir eine Einwanderung zulassen. Wir wollen mehr Qualität statt Quantität. Wir stehen für eine Einwanderungspolitik, die unser Land zum Wohle aller Deutschen nach vorne bringt, und keine, die unseren Sozialstaat weiter aussaugt und wie eine Kuh melkt, bis sie keine Milch mehr gibt.«
    Eine ganze Weile beantwortete der Spitzenkandidat ruhig und locker die Fragen, bis er schließlich auf die Uhr sah.
    »So, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir ein Schlusswort: Ich danke Ihnen für Ihre Flexibilität und Ihre interessanten Fragen. Mein Mitarbeiter Mike Lehmann wird Sie jetzt noch über weitere Details unseres Programms informieren. Wir haben dafür eine kleine Präsentation vorbereitet. Für die unter Ihnen, die es vorziehen, schnell in die Redaktion zu eilen und Ihre Texte und Berichte zu schreiben, weil der Redaktionsschluss droht, haben wir ein Short Paper vorbereitet, auf dem Sie das Wichtigste in Kürze finden.«
    Die Kommentare waren einhellig. »Unglaublich, dieser Jack Braun«, war auf einem der Notebooks zu lesen.
    Die Wähler, so zeigten die letzten Landtagswahlen, hatten wohl endgültig die Nase voll von den traditionellen Parteien, deren Kandidaten und ihren Versprechungen. Sie wussten, dass Politiker nicht das hielten, was sie vor der Wahl vollmundig versprochen hatten, frei nach Adenauers Spruch: »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.«
    Die Wähler wollten offenkundig endlich Volksvertreter, die glaubwürdig waren und für das einstanden, was sie vor der Wahl gesagt hatten. Sie wollten Tatkraft, und sie wollten Politiker, die sympathisch und volksnah waren. All dies schien Braun – zumindest für die Medien – zu verkörpern. Er war ein Mann ganz nach ihrem Geschmack. Aber er wusste auch, wie schnell die Gunst der Medien schwinden konnte und wie hart man dann fiel. Dann gab es kein Netz, keinen doppelten Boden, nur den Sturz ins Nichts.
    Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Bei jeder Veranstaltung und nach jeder Rede nahm er sich Zeit für die Menschen,

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