Die Lutherverschwörung
machte eine verächtliche Bewegung mit der Hand. »Schau dich nur um. Bei uns haben die Tiere eine bessere Behausung. Ich weiß nicht, wie man hier leben kann. Das Zimmer ist dunkel, und man wird trübsinnig. Ich neige nicht zur Melancholie, aber noch einen Monat in diesem Loch, und meine Seele nimmt auf ewig Schaden. Das ist eine schwere Prüfung, ich sehne den Tag herbei, wenn wir abreisen.«
Der Sekretär nickte. Was er für ihn tun könne?
»Marcello, ich sage dir, leben kann man nur im Süden«, fuhr Aleander unbeirrt fort, der sich an seiner Wut erwärmte. »Die Sonne, das milde Klima, die Nähe des Meeres. Weißt du, was ich heute gegessen habe zu einem Wucherpreis? Es nannte sich Fisch. Bei uns könntest du dieses Gericht einer Katze vorsetzen: Sie würde naserümpfend davonschleichen – aufs Tiefste beleidigt. Herr im Himmel, schenk mir Geduld! Hab Erbarmen, und lass mich nach Hause kehren! Was ist das für ein Menschenschlag?« Und dann plötzlich, ohne Übergang: »Bitte geh zu Karls Sekretär und besorge mir eine Audienz beim Kaiser; denn ich muss verhindern, dass er den Hurensohn Luther mit Samthandschuhen anfasst.«
»Besteht die Gefahr?«, fragte Marcello.
»Ich weiß es nicht, der Kaiser ist noch so jung, jünger als du. Jeder will ihn beeinflussen, aber er ist streng katholisch erzogen, und deshalb werde ich ihm ins Gewissen reden.«
»Luther ist im Johanniterhof abgestiegen. Habt Ihr seinen Einzug in die Stadt miterlebt?«
»Ein Trauerspiel war das! Eine Schande für den denkenden Teil der Menschheit. Ich bin sicher, sie würden einem Esel nachrennen, wenn man ihnen versichert, das sei Luther. Die Begeisterung, die dieser kranke Mönch im Volk auslöst, ist mir ein völliges Rätsel.«
»Glaubt Ihr, wir bekommen ihn auf den Scheiterhaufen, Exzellenz?«
»Das will ich hoffen, mein Guter. Wenn es noch so etwas wie Gerechtigkeit gibt auf der Welt, kann er nur dort enden. Aber wir leben in schlimmen Zeiten und ich kann für nichts garantieren. Die goldene Ära ist lange vorbei. Früher hätte ein Wink vom Heiligen Vater genügt, um diesen Burschen zu rösten – ohne Verfahren. Aber in Worms haben sich Babylon sowie Sodom und Gomorrha an einem Ort versammelt, und wir wollen es mit List versuchen. Gelingt es mir, den Kaiser auf unsere Seite zu ziehen, wird dem Mönchlein das Lachen vergehen.«
»Ich habe gehört, der Kaiser müsse politische Rücksichten nehmen.«
»Das ist richtig, Marcello, da ist vor allem der Kurfürst von Sachsen, von dessen Stimme er bei der Kaiserwahl abhing. Der spielt in der ganzen Sache eine fragwürdige Rolle. Was will er? Den Professor seiner Universität beschützen – sein Landeskind also? Dazu bekennt er sich nicht offen. Alles an ihm wirkt unentschieden. Bis vor kurzem pflegte er gute Kontakte nach Rom, und wir unterstützten ihn beim Sammeln von Privilegien und Reliquien. Meiner Meinung nach ist er ein Fuchs und gefährlich. – Aber nun mach dich auf den Weg! Wir haben keine Zeit zu verlieren!«
KAPITEL 27
Jost stützte die Ellbogen auf einen der groben Balken, die den Turnierplatz säumten, und verfolgte mit halb geschlossenen Lidern das Gedränge von Mensch und Tier. Er hatte viele Ritterturniere erlebt. Wie immer krachten die Lanzen, wenn sie gegen ein gegnerisches Schild prallten. Manchmal barsten sie auch und Splitter flogen durch die Luft und landeten im Schlamm – der Boden war vom anhaltenden Nieselregen durchweicht, von Huftritten zerwühlt. Wie immer schmückten prächtige Decken, auf denen sich bunte Wappen abzeichneten, die Schlachtrösser; wie immer umschlossen dicke Eisenpanzer die Ritter, sodass man sie kaum noch für menschliche Wesen hielt. Und wie immer fragte man sich, wer eigentlich gegen wen kämpfte – ein Laie hätte es kaum zu sagen vermocht. Auf einer Empore, die an das Wormser Tanzhaus grenzte, standen junge Damen von Adel, einige, wie Jost fand, recht ansehnlich (und dann hoben sich seine Augenlider ein wenig), die das Geschehen im eingezäunten Matsch besprachen oder ihrem Liebling Beifall spendeten.
Eine Hand legte sich auf Josts Schulter, und er drehte den Kopf zur Seite.
»Hanna!«
»Nun mach den Mund schon zu!«, sagte sie, sichtlich erfreut, dass es ihr gelungen war, ihn zu überraschen. »Als hättest du mich noch nie gesehen.«
»Wie kommst du denn hierher?«
»Genau wie unser Volksheld: auf einem Wagen. In Wittenberg ist nichts los, die Geschäfte laufen schlecht. Also habe ich mit meinen Mädchen beschlossen,
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