Die MacGregors 05 - Stunde des Schicksals
clevere Idee gehabt zu haben. Doch dann hatte er angefangen, sich mit Mrs. Higgs zu unterhalten. Und hatte etwas von der verblassenden Schönheit und Würde seiner Mutter entdeckt.
Er würde sie wieder besuchen, nicht für Anna, sondern für sich selbst. Er konnte es ihr unmöglich erklären, und er hatte auch nicht vor, Gefühle, die er schon so lange in sich trug, vor ihr offenzulegen.
»Das war der Hauptgrund, ja. Außerdem wollte ich mir den Ort ansehen, der dir offenbar so viel bedeutet. Ich verstehe zwar noch lange nicht alles, aber ich habe eine erste Vorstellung.«
Als sie nicht antwortete, schob er die Hände in die Taschen und ging mit ihr weiter. Diese Frau beschäftigte ihn weit mehr, als er vorausgesehen hatte. Er wollte ihr gefallen, und es erstaunte und beunruhigte ihn, wie sehr. Er wollte sie wieder lächeln sehen. Selbst mit einem ihrer kühlen Blicke hätte er sich begnügt. Frustriert schaute er düster vor sich hin. »Also, was ist jetzt, Anna? Warst du nun beeindruckt oder nicht?«
Sie blieb stehen und sah ihn an. Ihr Blick war nicht zu deuten. Und dann überraschte sie ihn, indem sie sein Gesicht zwischen die Hände nahm und es langsam nach unten zog, bis ihre Lippen seine berührten. Es war kaum mehr als die Andeutung eines Kusses, aber es traf ihn direkt ins Herz. Sie hielt ihn einen Moment lang fest und schaute ihm tief in die Augen. Dann ließ sie ihn los und ging wortlos davon.
Zum ersten Mal in seinem Leben hatte es Daniel MacGregor die Sprache verschlagen.
5. K APITEL
Daniel saß in seinem Büro bei der »Old Line Savings and Loan«, zog an seiner Zigarre und hörte sich den langatmigen Bericht des Bankdirektors an. Im Bankgeschäft kannte er sich aus, wie Daniel zugeben musste, und er war ein wahrer Zahlenjongleur, aber er konnte nicht weiter als bis über seine eigene Nasenspitze sehen.
»Außerdem schlage ich vor, die Hypothek aufzukündigen und Haus und Grundstück der Hallorans zu versteigern«, schloss der Mann. »Eine Zwangsversteigerung würde alle ausstehenden Forderungen decken und vorsichtig geschätzt rund fünf Prozent Gewinn einbringen.«
Daniel streifte die Asche ab. »Verlängern Sie den Kredit.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, verlängern Sie den Halloran-Kredit, Bombeck.«
Bombeck schob seine Brille höher auf die Nase und blätterte in den Unterlagen. »Wie ich schon sagte, die Hallorans sind mit der Abzahlung ihrer Hypothek sechs Monate im Rückstand. In den letzten beiden Monaten sind nicht einmal die Zinszahlungen entrichtet worden. Selbst wenn Halloran, wie er behauptet, bald wieder Arbeit findet, wird er das in diesem Quartal nicht mehr aufholen können. Ich habe alle Zahlen hier.«
»Das bezweifle ich auch nicht«, brummte Daniel gelangweilt. Seine Arbeit durfte ihn nicht langweilen, sonst verlor er das Gespür dafür, ermahnte er sich.
Bombeck zog die Unterlagen hervor und breitete sie auf Daniels Schreibtisch aus. Die Auflistungen waren, wie Bombeck selbst, penibel akkurat. »Wenn Sie sich das vielleicht einmal selbst ansehen wollen … Ich bin sicher, dann …«
»Geben Sie ihm weitere sechs Monate Aufschub, um die Sache mit den Zahlungen in Ordnung zu bringen.«
Bombeck erblasste. »Sechs …« Er räusperte sich und rutschte unruhig auf seinem Stuhl. Er benutzte die Hände, um seine Worte zu unterstreichen. »Mr. MacGregor, Ihr Verständnis für die schwierige Lage der Hallorans ist anerkennenswert, aber Sie müssen einsehen, dass man eine Bank nicht auf der Grundlage von Gefühlen führen kann.«
Daniel blies eine Rauchwolke über den Schreibtisch. Um seinen Mund lag ein Lächeln, aber hätte Bombeck es gewagt, genauer hinzusehen, wäre ihm nicht entgangen, wie eisig Daniels Blick war. »Ist das so, Bombeck? Danke für den Hinweis.«
Bombeck befeuchtete sich die Lippen. »Als Manager der Old Line …«
»Einer Bank, die vor einem Monat, als ich sie kaufte, so gut wie pleite war.«
»Ja.« Bombeck räusperte sich erneut. »In der Tat, Mr. MacGregor, und genau das ist der Punkt. Als Manager fühle ich mich verpflichtet, Ihnen mit meiner Erfahrung in Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ich bin seit fünfzehn Jahren im Bankgewerbe.«
»Fünfzehn?« Daniel tat beeindruckt. Vierzehn Jahre, acht Monate und zehn Tage. Er kannte die Daten aller seiner Angestellten, einschließlich der Reinmachefrau. »Sehr schön, Bombeck. Vielleicht sollte ich mich anders ausdrücken, um meine Denkweise verständlich zu machen.« Daniel lehnte sich in seinen
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