Die Macht der Angst (German Edition)
Gefahr ganz allein stellen, weil niemand außer dir es kann, richtig? Es ist alles allein deine Bürde. Das ganze Risiko. Die ganze Verantwortung.«
Er stand auf. »Ja, und zwar solange ich es ertragen kann.«
Edie boxte ihn in die Schulter, trotzdem schwankte er kaum. »Aber ich kann es nicht ertragen!«, schrie sie. »Ich finde es dumm, egoistisch und unfair!«
»Es tut mir leid, dass du so empfindest.«
»Ach, halt die Klappe!« Sie schubste ihn wieder, aber er war wie festgewurzelt. »Du herablassender Mistkerl! Sag das nie wieder zu mir!«
Er packte ihre Fäuste und zog sie wieder an sich. »Willst du wissen, wie ich mich aus dem Verlies in meinem Bewusstsein befreit habe?«, fragte er herausfordernd. »Ich habe immer dieselbe Technik verwendet. Meine magische Geheimwaffe. Soll ich sie dir beschreiben?«
»Schieß los«, blaffte sie. »Hau mich um, Kev. Das ist doch deine Spezialität.«
»Na schön«, sagte er. »Ich habe dich benutzt, Edie.«
Sie starrte ihn an, während sich ein Druck in ihr aufbaute, bis es sich anfühlte, als würde ihre Schädeldecke weggesprengt. »Wovon zur Hölle sprichst du? Ich kannte dich damals überhaupt nicht! Wir waren uns nur ein einziges Mal begegnet! Verarsch mich nicht!«
Aber Kev schüttelte den Kopf. »Es ist wahr«, beharrte er. »Diese Vision von dir, so, wie ich dich bei Flaxon gesehen hatte. Du warst mein Talisman. Das sagte ich dir bereits in dem Café, erinnerst du dich? Du warst mein Engel.«
»Nein!«, brüllte sie. »Fang nicht wieder mit dem Engel an, das macht mich wahnsinnig. Das bin nicht ich und war ich auch nie! Ich bin froh, dass er dir helfen konnte, trotzdem ist er nur ein Hirngespinst! Begreif das doch endlich!«
»Wann immer ich nicht mehr weiterwusste und in Panik geriet, warst du mein Rettungsanker«, insistierte er. »Wenn nichts anderes mehr funktionierte, holte ich dein Bild vor mein geistiges Auge. Es beruhigte mich und fokussierte mich genug, dass ich meinen Weg durch die Finsternis finden konnte. Vielleicht aktivierte es mit seinem Licht Nervenbahnen, die ich blockiert hatte. Ich weiß es nicht. Jedenfalls warst du der einzig sichere Durchlass in der Mauer, die ich um mich errichtet hatte. Keine Ahnung, wie es funktioniert hat, aber es
hat
funktioniert. Du hast funktioniert. Du hast mir das Leben gerettet. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.«
»Nein, Kev. Hör auf damit«, flehte sie ihn an. »Ich ertrage das nicht.«
»Ich kann nicht! Ich werde nicht sagen, dass es nicht real war, sondern nur eine billige Bewusstseinstäuschung. Es war ein Wunder, Edie. Auf diese Weise lernte ich wieder zu sprechen. Ich war jahrelang stumm, nachdem Tony mich gefunden hatte. Wusch Teller, schrubbte Böden. Lebte in einer Baracke hinter diesem verdammten Imbisslokal. Ich war gefangen in meinem eigenen Kopf und wurde allmählich verrückt. Ich konnte noch nicht einmal schreiben. Ich konnte nicht klar denken oder planen. Ich war zu keiner rationalen Überlegung fähig. Ich war verwirrt, desorientiert. Weil der größte Teil meiner Gehirnfunktion blockiert war, abgeschottet in diesem verdammten inneren Verlies.«
»Oh, Kev –«
»Ich war ein lebender Toter«, fuhr er hitzig fort. »Wie in einem dieser Albträume, wo man durch Teer watet. Aber du weißt das alles. Du hast es in deinen Comic-Büchern gezeichnet! Ich muss es dir nicht erst erzählen!«
»Aber, Kev, ich habe nicht –«
»Allein der Versuch zu sprechen, löste eine Angstattacke bei mir aus«, unterbrach er sie grimmig. »Ich bekam jedes Mal heftige Kopfschmerzen davon. Sie waren so schlimm, dass ich kurz davor stand, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Aber Bruno hielt mir beharrlich die Stange. Also versuchte ich es weiter, und schließlich gelang es mir, die Mauer zu durchbrechen. Mit deiner Hilfe. Du hast mir den Weg gezeigt. Es warst immer du.« Er umfasste ihre Schultern und drückte sie kraftvoll. »Dank dir lernte ich, wieder zu sprechen, wieder zu leben. Ohne dich wäre ich noch immer dort und würde Böden wischen. Oder ich wäre inzwischen verrückt. Noch wahrscheinlicher tot.«
Von Panik übermannt, schlug sie seine Hände weg und wich zurück. »Ich bin kein Engel!«, fauchte sie. »Ich bin einfach nur Edie. Ich bin unzulänglich, verkorkst, durchgeknallt! Ich habe nie irgendwen vor irgendetwas gerettet, noch nicht einmal mich selbst. Ich bin absolut durchschnittlich in allem, was ich tue, außer vielleicht beim Zeichnen oder darin, mir regelmäßig Scherereien
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