Die Macht der Angst (German Edition)
Mädchens sind auch Ihre Feinde?«
»Das stimmt. Man versucht, mir ein Verbrechen anzulasten, das ich nicht begangen habe, verstehen Sie? Yuliyah kann meine Unschuld beweisen.« Kev machte eine Pause. »Vorausgesetzt, sie überlebt.«
»Ich brauche keine Beweise«, sagte Dorothea beherzt. »Ich glaube Ihnen.«
»Darüber bin ich froh«, antwortete Kev mit tiefer Aufrichtigkeit. »Bitte, beschützen Sie das Mädchen.«
»Sie können auf mich zählen.«
Er drückte noch mal ihre Hände. »Ich bringe Sie und Ihre Organisation in Gefahr. Das bedaure ich sehr, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Ich muss jetzt gehen.«
»Schon? Wollen Sie sich denn nicht auch ein wenig ausruhen?« Sie tätschelte liebevoll seine unvernarbte Wange. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee oder etwas Suppe?«
»Nein danke. Dort, wo ich sie gefunden habe, sind noch andere Mädchen. Ich muss ihnen helfen.« Kev nahm ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. »Danke, Dorothea.«
»Dann nehmen Sie wenigstens das hier mit.« Sie zog ein kleines Päckchen aus ihrer Tasche. »Sie sehen furchtbar aus.« Es war eine Packung Feuchttücher. Kev steckte sie mit einem dankbaren Lächeln ein, dann machte er sich auf den Weg zum Ausgang.
»Kev! Warten Sie!« Dorothea eilte ihm nach, als er, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunterstürmte. »Ich hatte vorhin Besuch von einem Mann, der behauptete, er sei –«
»Später, Dorothea!« Mit den Gedanken ganz woanders schlug Kev die Tür hinter sich zu.
Sollten sie bislang noch nicht bemerkt haben, dass er und Yuliyah getürmt waren, hätten sie keinen Grund, seine Wohnung zu observieren, aber falls doch, würde ihm dort jemand auflauern. Nur für den Fall, dass er so unsagbar bescheuert und unvorsichtig sein würde, dort aufzutauchen.
Was er auch war. Ihm blieb keine Wahl. Er brauchte diese alternativen Identitäten, die er sich aufgebaut hatte. Zu dumm, dass er nicht die Zeit gehabt hatte, auch eine für Edie zu kreieren, aber es erforderte Jahre, eine Identität zu erschaffen, die einer amtlichen Überprüfung standhielt.
Wenn zumindest er eine hätte, könnte er arbeiten, und sie wären in der Lage zu reisen, Autos und Unterkünfte zu mieten, während er jeweils eine für Edie und Ronnie aufbaute.
Und er brauchte Waffen. Ohne fühlte er sich nackt.
Mit quietschenden Reifen wendete Kev den Wagen, dann beschleunigte er auf dem Weg zu seiner Wohnung. Er würde sich schnell reinschleichen und genauso schnell wieder raus.
Er musste es riskieren. Es war ihre einzige Chance.
30
»Jemand hat sich mit einem Dietrich an diesem Ding zu schaffen gemacht.« Sean beugte sich vor, um das Schloss genauer zu inspizieren. »Und das erst kürzlich. Das Schloss ist neu. Genau wie diese Kratzer.« Er schaute an dem schmucklosen, unauffälligen Klinkerbau hoch, der sich vor dem weißen Himmel abzeichnete. »Warte im Auto, Liv.«
Sie gab ein undamenhaftes Geräusch von sich. »Mach dich nicht lächerlich.«
Sean ließ sich gar nicht erst auf einen Streit ein, sondern trat einfach durch die Tür. Das Schloss war so stark beschädigt, dass es überhaupt nicht mehr funktionierte.
Sie stiegen die Stufen hoch, ohne einen Hinweis darauf zu finden, welche der Wohnungstüren auf den Treppenabsätzen Kevs sein könnte, bis sie die oberste Etage erreichten, wo es nur eine einzige Tür gab, da alle anderen zugemauert waren. Diese Tür stand offen.
»Hier wurde ebenfalls eingebrochen«, stellte er fest.
»Das kann kein Zufall sein«, murmelte Liv.
Sean steckte den Kopf durch die Tür und lauschte. Es herrschte Totenstille. Liv flocht ihre Finger in seine. Sean spitzte weiter die Ohren, bis seine Frau ungeduldig an seiner Hand zu zerren begann. Er ging hinein, sie folgte ihm.
Ein riesiger, offen gestalteter Loft. Große Fenster, rohe Backsteinwände, Schmiedeeisen, glänzende Teakholzböden. Hm, Kev schien es zu was gebracht zu haben. Als wären seine extrem großzügigen Spenden an das Asyl für jugendliche Ausreißer darauf nicht schon Hinweis genug gewesen. Die edle Metallküche mit der massiven, gekachelten Kücheninsel samt Spüle, Gasherd, Backofen … alle Achtung. Nachdem er und Liv die Küche und das Bad in seiner Eigentumswohnung renoviert hatten, wusste Sean nur zu genau, auf wie viel Geld er hier blickte. Sein Bruder musste über ein enormes Budget für Inneneinrichtung verfügen. Dieser verfluchte Glückspilz.
Beim Anblick der Mobiles, die an Drähten von der Decke hingen, stockte
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