Die Macht der Angst (German Edition)
Angreifer.
Liv kletterte nach draußen, dann blieb sie mehrere nervenzerfetzende Sekunden schwankend auf der verzogenen Planke stehen, bevor sie weiterstolperte und sich von Brunos ausgestreckter Hand in Sicherheit ziehen ließ. Schwer atmend duckte Kev sich wieder nach drinnen. Er war noch am Leben, genau wie Liv. Ihm war schwindlig vor Erleichterung.
Rums
. Die Schlafzimmertür wurde weiter aufgestemmt. Er feuerte mehrere Male auf den Spalt, während er fieberhaft nach einem Weg suchte, wie er seinen bewusstlosen Bruder aus dem Fenster und auf die schmale Feuertreppe befördern konnte.
Seine nicht gerade perfekte Lösung sah so aus, dass er rückwärts wieder nach draußen kletterte und seine Kehrseite zu einer verlockenden Zielscheibe machte, während er Sean unter den Achseln packte und seinen leblosen Körper auf die Feuertreppe hievte. Sie bot kaum genug Platz für eine Person, geschweige denn für zwei, trotzdem gelang es ihm, seinen Bruder huckepack zu nehmen und sich mit wackligen Beinen aufzurichten. Er kämpfte um seine Balance. Jeder seiner Muskeln zitterte. Schweiß tropfte von seinem Kinn. Brunos Gesicht war verschwommen im Hintergrund. Eingerahmt von Davys und Livs.
Er fokussierte sich auf sie, was sich als großer Fehler erwies, sodass er sie wieder mit dem Hintergrund verschmelzen ließ. Die nackte Angst in ihren Mienen half ihm kein bisschen.
Unter ihm detonierte etwas, das Krachen zu laut für eine Schusswaffe. Es folgten panische Schreie und Rufe. Kev traute sich nicht hinunterzusehen. Er schwang sein Bein über die Feuertreppe und setzte einen Fuß auf das Brett. Schwankend balancierte er sein Gleichgewicht auf der verzogenen Planke aus, bevor er den anderen Fuß von der relativ stabilen Feuertreppe löste.
Er würde drei oder vier schlurfende Schritte benötigen, ehe er seine Last den ausgestreckten Händen auf der anderen Seite übergeben konnte.
Eins
. Die Planke bog sich federnd unter ihrem kombinierten Körpergewicht durch. Kev rechnete jeden Moment damit, dass ihn von unten eine Kugel treffen würde. Aber nein.
Zwei. Drei
. Davy und Bruno lehnten sich ihm entgegen, sie streckten die Arme nach Sean aus –
Kawumm
. Eine noch lautere Explosion.
Wump. Zisch. Zack
. Eine Kugel aus dem Fenster hinter ihm streifte seitlich seinen Schuh. Kev vollführte einen wackeligen Schritt, als das Brett wippend von der Feuertreppe rutschte.
Mit allerletzter Kraft wuchtete er Sean in Brunos und Davys Arme, bevor er sich mit rudernden Beinen im freien Fall befand –
Er fing sich mit derselben Hand, die Seans Sturz von der Brüstung verhindert hatte, ab. Mit demselben Arm, der bei dem Wasserfall-Unglück von dem Baumstamm zertrümmert worden war.
Scheiße, tat das weh. Kev hatte Mühe zu atmen. Er schaute auf seine Füße, die über der tödlichen Action, die unter ihm stattfand, in der Luft baumelten.
Davy und Bruno ballerten auf den Mann im Fenster. Er ballerte zurück. Kev dachte an den Wasserfall. Ein irres Lachen stieg in ihm hoch. Das hier fühlte sich seltsam vertraut an. Was er verbrochen hatte, um diesen kranken Irrsinn zu verdienen, wusste er selbst nicht.
Eine Hand schloss sich um seinen Unterarm. Davy hatte dem Kugelhagel des Fettwansts getrotzt und war das Baugerüst runtergeklettert, um Kev hochzuziehen, während Bruno ihm Rückendeckung gab, indem er eine Salve von Schüssen in Kevs Schlafzimmerfenster feuerte. Unter großer Anstrengung und rasenden Schmerzen schob er keuchend ein Knie, dann einen Fuß nach oben. Davy zog ihn an seinem wunden Arm hoch und stieß ihn mit dem Gesicht voran in das dämmrige Gebäude. Schnaufend und hustend fiel Kev auf die Knie.
»Wir haben dafür keine Zeit!«, brüllte Bruno. »Wurdest du getroffen? Bist du verwundet?«
»Mir fehlt nichts«, ächzte er. »Glaube ich.«
»Dann setz deinen Arsch in Bewegung! Los! Mach schon!«
Sie schleiften ihn mit sich. Stolpernd ließ Kev sich von ihnen im Laufschritt durch einen Urwald aus Trägern und Stahlkabeln navigieren. Davy trug Sean ohne sichtliche Mühe. Als sie im Erdgeschoss aus der Tür spähten, bot sich ihnen ein Bild des Schreckens. Da ertönte eine Autohupe, und Tonys alter Chevy-Pick-up kam ums Eck gebogen. Tante Rosa saß am Steuer, ihr Mund zu einem Kampfschrei aufgerissen. Sie lehnte sich aus dem Fenster und brüllte: »
Vaffanculo
, ihr stinkenden Hundesöhne!« Sie trat aufs Gas und raste auf einen schwarzen SUV zu.
Mehrere Männer sprangen aus dem Weg, um ihr zu entkommen.
Rums
,
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