Die Macht der Angst (German Edition)
Computerbildschirm mit ihrer Armbanduhr abglich. Ihre Uhr ging dreizehn Sekunden vor. Die Nordansicht erschien, wenn der Sekundenzeiger auf der Zwölf stand. Fünf Sekunden. Dann die südliche Ansicht. Dann die östliche. Dann die westliche. Zwanzig Sekunden später wieder nach oben. Drei Zyklen jeder Blickperspektive pro Minute.
»Wir treffen alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen«, sagte Paul. »Sie haben nichts zu befürchten. Warum werfen Sie nicht eine nette kleine Pille ein und legen sich hin?«
Edie blinzelte. Wow. Er hatte die Samthandschuhe ausgezogen. Nicht, dass Paul ihr je besonders höflich begegnet wäre, aber das war krass. Die pure Geringschätzung.
Rechts vom Eingang befanden sich Kleiderhaken, an denen Jacken hingen. Edie erkannte die wieder, die Paul neulich trug, als er sie für ihren Friseurtermin abgeholt hatte. Dunkelgrau, mit einem flauschigen silbernen Pelz verbrämt. Seltsam, wie lebhaft jedes noch so kleine Detail war. »Tatsächlich hatte ich mich gefragt, ob einer der Gentlemen mich chauffieren könnte«, improvisierte sie aus dem Stegreif. »Ich muss ein paar Erledigungen machen, und offensichtlich ist es besser, wenn ich nicht –«
»Nein«, sagte Paul.
Seine Antwort war gewiss keine Überraschung, trotzdem gab Edie sich erzürnt und fuhr die Krallen aus. »Nein? Was soll das heißen?«
»Nein soll heißen, dass Sie hierbleiben, Ms Parrish.«
Sie reckte das Kinn vor. »Sie haben nicht die Befugnis, mich hier festzuhalten. Mein Vater glaubte, dass er sie hätte, aber er ist nicht mehr hier.«
»Ja, und ist das nicht praktisch?«, höhnte Paul. Er kam um die Schreibtische herum und drängte Edie mit der Kraft seiner Feindseligkeit in die Ecke mit den Kleiderhaken zurück, bis sie Pauls Jacke hinter sich spürte und ihr der widerwärtige, heiße Zigarettenatem des Mannes in die Nase stieg.
Verstohlen tastete sie nach der Jackentasche. Fand sie und griff hinein. Nichts.
Scheiße
.
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Ms Parrish. Ich bin nicht ganz sicher, wer hier zurzeit das Kommando hat.« Paul tippte mit seinem fleischigen Zeigefinger an ihr Schlüsselbein. »Aber eines weiß ich ganz bestimmt. Es sind nicht Sie.«
Edie erwiderte seinen finsteren Blick, während sie die andere Tasche suchte. Da. Der Reißverschluss war halb zugezogen, aber es gelang ihr, ihn zu öffnen. Ihre Hand glitt hinein. Wagenschlüssel. Eine Brieftasche. Sie nahm beides heraus und schob es in ihre Jeanstasche, dankbar für die Ecke, in die sie gezwängt wurde und die ihre kriminelle Aktivität vor Blicken schützte.
Paul genoss seine Einschüchterungsnummer ganz unverhohlen. »Gehen Sie nach oben, Ms Parrish.« Er verzog den Mund zu einem verächtlichen Grinsen. »Seien Sie ein gutes Mädchen.«
Sich wie ein ängstliches Häschen gebend, floh Edie aus dem Überwachungsraum, rannte die Treppe hoch und zurück zu Ronnies Zimmer. Sie riss die Tür auf. »Ich brauche Hilfe, um von hier abzuhauen«, verkündete sie atemlos. »Hast du noch welche von deinen Böllern?«
»Du meinst die, wegen denen Dad ausgerastet ist? Die ich hätte entsorgen sollen?«
»Das hast du doch nicht, oder?«, fragte sie nervös.
Ronnies Miene hellte sich auf. »Oh! Du willst, dass ich sie ablenke? Cool!«
»Aber ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.«
Ronnie zuckte gleichmütig die Achseln. »Mit wem? Tante Evelyn? Das soll wohl ein Witz sein.«
Ronnie holte die Pappschachtel mit den Feuerwerkskörpern aus ihrem Kleiderschrank und suchte ihre Lieblingsstücke heraus, während Edie sich mit der Logistik befasste. Ihre Flucht musste zeitlich minutiös geplant sein. Da es auf dem Grundstück keinen Platz für die Fahrzeuge der Wachmänner gab, parkten sie in einem Unterstand parallel zur Westmauer. Die Äste der Eiche im westlichen Garten reichten bis an die Oberkante der zweieinhalb Meter hohen Mauer, und ihr Blattwerk würde Edies Kletterpartie vor Blicken schützen. Sie vereinbarten, dass Ronnie fünf Sekunden, bevor der Sekundenzeiger auf die Zwölf sprang, anfangen würde, Böller von der Terrasse zu werfen.
»Wie viele soll ich benutzen?«, fragte das Mädchen.
»Nur so viele, wie nötig sind, damit ich es über die Mauer schaffe«, antwortete Edie. »Sobald der erste Feuerwerkskörper hochgeht, bleibt mir ein Zeitfenster von fünfzehn Sekunden, um es zu bewerkstelligen.«
»Es wäre glaubhafter, wenn ich sie alle anzünden würde«, meinte Ronnie. »Ich flippe komplett aus und heule und schreie
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