Die Macht der Angst (German Edition)
Nickerchen, eine Tasse Tee. Jeder braucht mal eine Verschnaufpause.«
Edie drehte sich wutschnaubend zu ihr um. »Wie kannst du darüber Witze reißen?«
Die Frau zuckte gleichgültig mit ihren schmalen, schwarz verhüllten Schultern. »Es gibt unterschiedliche Bewältigungsmechanismen.«
»Steck dir deine Bewältigungsmechanismen in den Arsch«, fauchte Edie. »Es geht hier um meine kleine Schwester! Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt!«
»Da täuschst du dich«, entgegnete Tam. »Ich hatte früher selbst eine Schwester.«
Edie starrte in die unergründlichen bernsteinfarbenen Augen der Frau. Sie fürchtete sich davor, die Frage zu stellen, aber sie war geschickt dahin manövriert worden. »Früher?«
Ein knappes Nicken. Dann ließ Tam sie warten und warten.
»Und?« Edies Tonfall wurde schärfer.
»Ich konnte sie nicht beschützen.« Tams dunkle, rauchige Stimme wurde hart wie Glas. »Sie ist gestorben.«
Edie schloss die Augen. Übelkeit wallte in ihr auf.
»So was passiert«, fuhr Tam gnadenlos fort. »Man lernt, damit umzugehen.«
»Was soll diese Scheiße?«, fuhr Kev sie an. »Meinst du, das hilft ihr? Ist es nützlich? Halt einfach die Klappe, und lass uns in Ruhe! Wir brauchen deine Ratschläge nicht!«
»Es tut mir leid, wenn ich ein wandelndes Schlimmstfall-Szenario bin«, sagte Tam. »Aber ich habe gekämpft und überlebt.« Sie knuffte Edie in die Schulter. »Und du bist ebenfalls eine Kämpfernatur. Vielleicht trifft das auch auf deine kleine Schwester zu. Wir können nur hoffen.«
»Aber sie ist erst dreizehn«, klagte Edie.
»Dreizehn. Das ist alt genug. Ist sie klug? Ist sie taff?« Als Edie nickte, fuhr Tam lebhaft fort: »Nun, das ist gut. Damit hat sie eine Chance. Eine hauchdünne zwar, aber das ist besser als nichts.«
»Herrgott.« Kev starrte sie fassungslos an. »Und das soll ihr Trost spenden?«
Tams Miene war entgeistert. »Natürlich nicht! Wieso sollte ich so etwas versuchen? Hör auf, sie zu verhätscheln. Das irritiert mich, und ihr hilft es nicht weiter.«
Kev wandte sich an seine Brüder. »Wo habt ihr diese überspannte Zicke aufgegabelt?«
Davy und Con guckten unbehaglich drein. »Das ist eine lange Gesch…«
»Sagt das noch ein einziges Mal und ich reiße jemandem die Kehle raus«, drohte Kev.
Alle Anwesenden außer Edie und Kev tauschten hastige, nervöse Blicke. Tam lachte still in sich hinein. Amüsierte sich über ihren kleinen Privatwitz.
»Lass dich nicht von ihr ärgern«, riet Sean ihm. »Tam ist einfach so. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass wir es gar nicht mehr merken. Wir hören nur Blablabla, wenn sie mal wieder Gift versprüht.«
Con sprang für Tam in die Bresche. »Allerdings kompensiert sie ihre furchtbaren Manieren, ihre spitzen Kommentare und ihre arrogante Einstellung …«
»Man nennt es schonungslose Ehrlichkeit«, wandte Tam ein. »Betrachtet es als Frischzellenkur.«
»… indem sie einen von Zeit zu Zeit vor einem grausigen Schicksal bewahrt«, fuhr Con hartnäckig fort. »Mir hat sie auch schon mal den Arsch gerettet. Genau wie Erin.«
»Dir deinen übrigens indirekt auch«, sagte Davy. »Diese Gangster in deiner Wohnung hätten uns vernichtend geschlagen. Hätte Con nicht ihre gepanzerten SUV s mithilfe von Tams Schmuckgranaten in die Luft gesprengt, wären wir jetzt alle Hackfleisch.«
»Ach ja, was das betrifft.« Tam schlug ihre schlanken Beine übereinander und wippte mit einem in High Heels steckenden Fuß. »Lass uns über meine zauberhaften Diamanten-Bomblets sprechen, die du eigentlich ausliefern solltest, anstatt sie für deinen eigenen egoistischen –«
»Egoistisch?«, blaffte Con zurück. »Die Typen hätten uns umgebracht!«
Tam lachte. »Lass dich nicht hänseln, Con. Bleib cool. Wir werden einen Zahlungsplan ausarbeiten. Schlimmstenfalls werden der kleine Kevvie und Maddie auf ihr Studiengeld verzichten müssen, aber eine höhere Ausbildung wird meiner Meinung nach sowieso überschätzt. Ich habe schließlich nie eine genossen. Ich hatte stattdessen eine, nun, niedere Ausbildung könnte man es vielleicht nennen.« Sie zündete sich eine Zigarette an und zwinkerte Edie zu. »Sehr, sehr nieder.«
»Ignoriert sie einfach«, sagte Davy. »Tam, sei still und benimm dich.«
Tam warf ihm einen Schmatz zu und ließ einen Rauchkringel entweichen.
Edie schaute sie noch immer an. Kühl und direkt erwiderte Tam den Blick.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, ein wandelndes
Weitere Kostenlose Bücher