Die Macht der Angst (German Edition)
Vater wollte mich auf Kurs bringen. Mich aufpolieren. Dr. O verstand es, sich zu verkaufen, allerdings denke ich nicht, dass meinem Vater wirklich bewusst war, was dieser sogenannte Workshop zur Steigerung des kognitiven Potenzials beinhaltete. Dr. O stimulierte unsere Gehirne mittels Elektrizität und Drogen, um unsere geistigen Funktionen zu erweitern. Zumindest waren das seine Worte. Es war … nun ja, es war grotesk.«
Kevs Mund wurde hart. »Hat es funktioniert?«
Edie erschauderte sichtlich. »Ich schätze, das hängt davon ab, was du mit funktionieren meinst«, wich sie aus. »Du könntest dich mit der Person, die als Kontakt zwischen Helix und Ostermans Forschungseinrichtung fungierte, in Verbindung setzen und feststellen, ob noch Unterlagen aus der Flaxon-Zeit existieren. Vielleicht findest du auf diese Weise etwas heraus.«
»Hmm.« Kev starrte in seine Kaffeetasse.
»Ich verstehe trotzdem nicht, warum du dich an mich gewandt hast«, fuhr sie fort. »Ich weiß so wenig. Ich kann dir nicht helfen. Bei überhaupt nichts.«
»Ganz im Gegenteil. Du bist die Einzige, die mir je geholfen hat.«
Ihr Blick war fassungslos. »Wie denn?«, fragte sie fast zornig. »Ich habe damals nichts unternommen. Es war so schrecklich, das Ganze mitanzusehen. Ich fühlte mich entsetzlich hilflos.«
»Trotzdem hast du mir geholfen«, insistierte er. »In meinen Träumen.«
»Ach, in deinen Träumen!« Edie lachte nervös. »Es ist witzig, Anerkennung für etwas zu bekommen, was man in fremden Träumen getan hat. Ich weiß noch nicht einmal, wie ich mich in ihnen verhalten habe, wie könnte ich also –«
»Du warst mein Engel. Wenn ich Hilfe brauchte, hast du sie mir gegeben.«
Sie klappte den Mund zu, schluckte schwer. »Wie das?«
»Durch deine Existenz«, sagte er schlicht.
Edie schnaubte. »Und das hat gereicht? Meine bloße Existenz? Weiter habe ich nichts getan?«
»Du musstest nichts weiter tun. Es war genug, dass du da warst. Ein helles Licht in der Dunkelheit. Das einzige, das ich hatte. Es rettete mir den Verstand, vielleicht sogar das Leben. Dafür danke ich dir.«
»Du schuldest mir keinen Dank«, wiegelte sie ab. »Ich verdiene ihn nicht. In meiner Welt sammelt man keine Punkte für das, was man ist, sondern nur für das, was man tut.«
Er schüttelte den Kopf. »Deine Welt wird sich bald ändern.«
Mann, das war mal eine tollkühne Ansage. Die ruhige Überzeugung in seiner Stimme verschlug Edie den Atem, brachte ihre Zehen und Finger zum Kribbeln.
Leg dir ein dickeres Fell zu, Edie
. »Dieser ganze übersinnliche Kram klingt ja echt faszinierend, er würde einen guten Stoff für einen Comic-Roman abgeben, trotzdem ist er nur das Produkt deiner überbordenden Fantasie«, beschied sie ihm spröde. »So wie meine eigenen Geschichten das Produkt meiner überbordenden Fantasie sind. Ich will nicht gemein sein, aber deine Träume haben nichts mit mir zu tun. Darum komm zur Vernunft und sieh endlich ein, dass du selbst dieses helle Licht warst.«
Kev schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich hätte ich dir zugestimmt, bevor ich die Shadowseeker-Bücher gesehen habe. Aber jetzt bin ich überzeugt, dass du die ganze Zeit in meiner Nähe warst.«
Edie zerfranste den Rand ihres Pappbechers zu einer Ponyfrisur. Es war ein unbewusster Tick, der sie immer dann überkam, wenn sie keinen Bleistift zur Hand hatte. Eine von Edies kleinen Zwangsneurosen, wie ihre Mutter es ausgedrückt hatte. Sie versuchte, es zu lassen, doch der Drang war zu stark, also zupfte sie weiter. Warum auch nicht? Wen kümmerte es? Sie musste dem Mann nichts beweisen.
»Es tut mir leid«, sagte er, während er beobachtete, wie sie präzise einheitliche Streifen in den Becherrand riss. »Ich wollte dich nicht aus der Fassung bringen.«
Edie hielt den Mund geschlossen und die Augen auf die Papp-Fransen fixiert. Das Schweigen dehnte sich quälend lange aus, trotzdem widerstand sie dem Drang, es mit leerem Geplapper zu füllen. Nach mehreren stummen Minuten ergriff Kev von Neuem das Wort.
»Was ist da vorhin passiert, in der Buchhandlung? Mit diesem Mädchen vor mir in der Schlange?«
Die schreckliche Erinnerung verkrampfte ihr den Magen. »Ach, das«, murmelte sie. »Nur mein böser Dschinn, der seinen Kopf hervorgestreckt hat.«
Kev wartete auf mehr, aber Edie sprach inzwischen nicht mehr offen darüber, was ihr widerfuhr, wenn sie Menschen skizzierte. Es kam nie gut an. Ihre Eltern waren deswegen ausgerastet. Ihr Therapeut versuchte, sie
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