Die Macht der Angst (German Edition)
auf Antipsychotika zu setzen. Das eine Mal, als sie es ihrem Freund gebeichtet hatte, hatte der sie prompt sitzen lassen und sich nie wieder bei ihr gemeldet. Andere Bekannte und Lover hatten es ebenfalls herausgefunden, wenn sie einer ihrer Anfälle überkam. Am Ende bekam sie immer die Quittung. Darum beschritt sie diesen Weg nicht mehr. Und würde es auch nie wieder tun.
»Erzähl es mir«, bat Kev sie.
Und Edie ließ es tatsächlich aus sich herausströmen. Geheimniskrämerei schien bei diesem Mann die Mühe nicht zu lohnen. Schließlich war er bereits in ihrem Geist. Er lebte darin.
»Es geschieht, wenn ich zeichne«, begann sie. »Manchmal schnappe ich … Dinge auf. Aus fremden Köpfen. Ich vermute, ich klinke mich in ihre Frequenz ein.«
Kev wirkte nicht alarmiert oder auch nur überrascht. »Was hast du bei dem Mädchen aufgeschnappt?«
»Ich sah, wie ihr Liebhaber sie strangulierte«, flüsterte sie.
Seine Augenlider zuckten kaum merklich. »Autsch. Wie verlässlich sind diese Wahrnehmungen?«
»Ich kann nicht alle verifizieren«, antwortete sie. »Aber soweit es mir möglich ist, würde ich sagen, zu hundert Prozent. Es gelingt mir nie, den Ausgang zu verändern, aber das liegt nicht daran, dass ich es nicht versuche. Ich sah den Herzanfall meiner Mutter voraus, konnte sie aber trotzdem nicht dazu bewegen, einen Arzt zu konsultieren. Vor ein paar Tagen skizzierte ich meinen Vater in einem Restaurant, und ich … ach, nicht so wichtig. Also, was willst du? Ein Treffen mit meinem Vater? Leider bin ich nicht die Richtige, um das zu arrangieren, dafür denkt er zu gering von mir.«
»Nein.« Kev tätschelte ihre Hand. »Ich möchte dir keine Schwierigkeiten machen. Ich kann ohne deine Fürsprache Kontakt zu deinem Vater und zu Helix aufnehmen.«
»Aber was willst du dann?«, wiederholte sie hilflos.
»Nichts«, sagte er. »Du sollst einfach nur weiter existieren.«
Ihre Augen wurden schmal. »Oh, bitte. Das ist doch wohl nicht dein Ernst.«
Der Schemen eines Lächelns huschte über sein Gesicht. »Dann lass mal überlegen. Du könntest mit mir spazieren gehen.« Er klang fast schüchtern. »Mir ein wenig Gesellschaft leisten. Dich eine Weile mit mir unterhalten. Es ist ein schönes Gefühl, mit dir zusammen zu sein.«
Meinte er das ernst? Obwohl er nun ihr verborgenstes, dunkelstes Geheimnis kannte, scheute er nicht davor zurück, ihr seine Seele offenzulegen? War sein Herz so rein? War er so furchtlos, so unbefangen? Konnte es sein, dass er ihr einfach nicht glaubte? Dass er sie für verrückt hielt? Das wäre schließlich ein Klassiker.
Seine charmanten Worte trieben ihr die Röte in die Wangen. Flirtete er etwa mit ihr? Edie hatte nicht viel Erfahrung mit Flirts. Sie würde es nicht merken, wenn einer sie in den Hintern biss. Sie verließen das Café, dann schlenderten sie Seite an Seite den Gehsteig entlang. Schweigend. So viel zum Thema »ihm Gesellschaft leisten«. Edie wusste nicht das Geringste zu sagen. Sie war zu nervös, zu verlegen.
Sie dachte darüber nach, was er ihr anvertraut hatte. Kev hatte seinen Frieden mit der Stille und der Einsamkeit gemacht, und es hatte ihn verändert, hob ihn von anderen Männern ab. Sie fühlte es deutlich. Mit ihm konnte das Schweigen so beredsam sein wie tausend Worte. Jede Stille hatte ihre eigenen Töne, ihre eigene Qualität, ihre eigenen Klangfarben und Nuancen. Jedes Schweigen drückte etwas Spezifisches aus, und sie verstand jede einzelne Botschaft. Zumindest glaubte sie das. Aber vielleicht projizierte sie nur, gab sich einer Illusion hin. Trotzdem konnte sie dieser Verlockung wortlosen Einvernehmens nicht widerstehen. Diesem Aufwallen purer Emotion in ihrem Herzen. Einer Emotion, die sie kaum zu kontrollieren vermochte.
Jetzt krieg dich wieder ein. Dieser Mann ist ein Fremder,
rief die Stimme der Vernunft sie schrill zur Ordnung. Edie wusste nichts über ihn, außer dass er mehr oder minder hirngeschädigt war, seltsame Auffassungen vertrat und sich extrem interessiert an ihr zeigte.
Sie sollte sich nicht von diesen aufwühlenden, kitschigen, hoffnungsvollen Gefühlen leiten lassen. Das war illusorisch. Gefährlich. Und bescheuert. Sie würde verschaukelt werden und sich hinterher im besten Fall wie eine Idiotin fühlen. Den schlimmsten Fall wollte sie sich gar nicht ausmalen.
Dann nimm die Beine unter die Arme,
schimpfte die Stimme der Vernunft.
Lass ihn im Regen stehen. Schnapp dir ein Taxi. Renn
. Der Sicherheitsdienst der Parrishs war
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