Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Baumeister
Vom Netzwerk:
Selbstdisziplin, wenn sie miteinander auskommen wollen. Und Hunde, die mit Menschen zusammenleben, müssen sich an Regeln halten, die ihnen aus Hundesicht vermutlich albern und willkürlich vorkommen, etwa das Verbot, den Schritt der (menschlichen) Gäste zu beschnüffeln.
    Analog zu den Experimenten mit Menschen ermüdeten die Wissenschaftler zunächst die Willenskraft der Versuchshunde, indem sie sie zehn Minuten lang auf »Sitz!« und »Platz!« hören ließen. Eine Kontrollgruppe blieb einfach zehn Minuten lang in einem Käfig und musste keinerlei Selbstbeherrschung zeigen. Dann bekamen alle Hunde ein vertrautes Spielzeug, in dem ein Stückchen Wurst versteckt war. In der Vergangenheit hatten alle Hunde mit diesem Spielzeug gespielt und die Belohnung erfolgreich herausgefischt, doch im Experiment war das Spielzeug manipuliert, sodass die Hunde nicht mehr an die Wurst herankamen. Die Kontrollgruppe mühte sich mehrere Minuten lang ab, doch die Hunde, die vorher auf die Befehle hatten hören müssen, gaben schon nach weniger als einer Minute auf. Es war die bekannte Ego-Erschöpfung. Aber auch bei Hunden wirkte die Medizin. In einer zweiten Untersuchung erhielten die Hunde unterschiedliche Getränke, und die gezuckerten Getränke stellten die Willenskraft der Tiere wieder her. Derart gestärkt mühten sie sich nun genauso lange mit dem Spielzeug ab wie die Hunde, die im Käfig gesessen hatten. Die mit Süßstoff gesüßte Flüssigkeit zeigte, wie erwartet, keine Wirkung.
    Trotz allem war die wachsende Gemeinde der Hirnforscher noch nicht vollends von dem Glukose-Zusammenhang überzeugt. Skeptiker wiesen darauf hin, dass der Energieverbrauch des Gehirns unabhängig von der Tätigkeit mehr oder minder konstant bleibt, was nicht mit der Vorstellung des Energiemangels zusammenzupassen schien. Einer der Skeptiker war Todd Heatherton, der früher mit Baumeister zusammengearbeitet hatte und inzwischen am Dartmouth College unterrichtete; dort war er ein Pionier der sozialen Neurowissenschaften, einer neuen Wissenschaft, die sich mit der Beziehung von Gehirnprozessen und Sozialverhalten beschäftigt. Er war überzeugt, dass die Ego-Erschöpfung existierte, aber er glaubte nicht, dass sie mit der Glukose zusammenhing.
    Zur Überprüfung der Theorie entwickelte Heatherton einen ambitionierten Test. Er und seine Kollegen suchten Menschen, die gerade eine Diät machten, und maßen ihre Reaktionen auf Bilder vonEssen. Dann zeigten sie den Teilnehmern ein komisches Video und untersagten ihnen das Lachen, um ihr Ego zu ermüden. Schließlich führten sie ihnen ein weiteres Mal Bilder von Lebensmitteln vor und maßen die Reaktionen ihres Gehirns (eine Kontrollgruppe bekam Landschaftsaufnahmen zu sehen). Frühere Untersuchungen von Heatherton und Kate Demos hatten gezeigt, dass diese Bilder Reaktionen in verschiedenen Hirnregionen auslösen, unter anderem im Nucleus accumbens und in der Amygdala. Diese Reaktionen traten wieder auf. Bei den Teilnehmern, die Diät hielten, sorgte die Ego-Erschöpfung für gesteigerte Aktivität im Nucleus accumbens und eine entsprechende Abnahme in der Amygdala. Das entscheidend Neue an diesem Experiment war eine Manipulation des Blutzuckerspiegels. Einige Teilnehmer erhielten ein zuckerhaltiges Getränk, das Glukose ins Blut und indirekt vermutlich auch ins Gehirn beförderte.
    In einem wegweisenden Vortrag verkündete Heatherton 44 die Ergebnisse des Versuchs vor der Society for Personality and Social Psychology, der weltgrößten Organisation von Sozialpsychologen, deren Vorsitz er damals innehatte. In seiner Begrüßungsansprache bei der Jahresversammlung 2011 in San Antonio berichtete er, dass Glukose die Erschöpfung des Gehirns tatsächlich aufhob, und gestand, dass ihn dieses Ergebnis sehr verblüfft hatte. (Baumeister, der im Publikum saß, erinnerte sich, wie erstaunt er selbst gewesen war, als in seinem Labor die Beziehung zur Glukose hergestellt worden war.) Heathertons Ergebnisse betätigten, dass die Glukose ein entscheidender Baustein der Willenskraft ist. Aber mehr noch, sie lösten das Rätsel, warum sich der Energieverbrauch des Gehirns insgesamt nicht veränderte. Offenbar verlagert sich bei der Ego-Erschöpfung die Aktivität des Gehirns von einem Teil auf einen anderen. Ihr Gehirn stellt nicht einfach den Betrieb ein, weil der Zuckerspiegel sinkt. Stattdessen unterlässt es bestimmte Tätigkeiten und nimmt andere auf. Das könnte auch erklären, warum wir manche Dinge intensiver

Weitere Kostenlose Bücher