Die Macht der Disziplin
loswurden, um sich einen Neuen zu suchen. Aber es ist vollkommen unklar, ob es sich dabei tatsächlich um einen evolutionären Vorteil handelte und ob dieser Druck in der afrikanischen Savanne wirklich wirksam war. Unter den Jägern und Sammlern war PMS vermutlich weniger ein Problem, da Frauen die meiste Zeit über entweder schwanger waren oder stillten.
Wie dem auch sei, inzwischen gibt es eine solide physiologische Erklärung für das prämenstruelle Syndrom, 49 die nichts mit befremdlichen Impulsen zu tun hat. Kurz vor der Menstruation, während der sogenannten Lutealphase, lenkt der Körper der Frau große Mengen Energie in die Eierstöcke und in die Produktion weiblicher Hormone. Je mehr Energie und Glukose jedoch in das Reproduktionssystem umgeleitet werden, umso weniger bleibt für den Rest des Körpers, der mit einem gesteigerten Verlangen nach mehr Treibstoff reagiert. Schokolade und andere Süßigkeiten sind besonders attraktiv, weil sie dem Körper sofort Glukose zuführen, aber im Grunde hilft jede Form von Nahrung, weshalb Frauen dazu neigen, während dieser Phase mehr zu essen. Eine Untersuchung fand heraus, dass Frauen in dieser Zeit beim Mittagessen durchschnittlich 810 Kilokalorien zu sich nehmen, also rund 170 mehr als im restlichen Monat.
Trotzdem bekommen viele Frauen noch immer nicht genug Kalorien. Die figurbewusste Frau von heute nimmt nicht genug zusätzliche Nahrung zu sich, um während dieser Tage ihren gesteigerten Glukosebedarf zu decken. Aber wenn nicht genug Energie vorhanden ist, muss der Körper rationieren, und da der Reproduktionsapparat Vorrang hat, bleibt weniger für die Willenskraft übrig. Normalerweise haben sich Frauen besser im Griff als Männer, doch in der Lutealphase stehen sie vor größeren Problemen, sich zu beherrschen.
In dieser Zeit geben Frauen mehr Geld aus und tätigen mehr Spontankäufe als sonst. Sie rauchen und trinken mehr, und zwar nicht nur, weil ihnen Zigaretten und Alkohol besser schmecken. Vor allem Frauen mit Alkoholproblemen oder mit einer Geschichte des Alkoholmissbrauchs in der Familie schenken sich ein paar Gläser mehr ein. In der Lutealphase trinken Frauen eher einen über den Durst, schnupfen Kokain oder nehmen andere Drogen. PMS führt nicht zu spezifischen Verhaltensproblemen; vielmehr scheinen Frauen insgesamt unbeherrschter, weshalb sich alle möglichen Probleme verstärken.
Eine Droge, deren Konsum nicht gesteigert wird, ist bezeichnenderweise Marihuana. Anders als Kokain oder Opiate versetzt Marihuana nicht in Euphoriezustände. Es verstärkt lediglich bereits vorhandene Gefühle. Wenn PMS an sich schon schlimm genug ist, dann ist eine Droge, die dieses Gefühl auch noch verstärkt, nicht sonderlich attraktiv. Außerdem verursacht Marihuana nicht dasselbe Verlangen wie Nikotin, Alkohol, Kokain und andere Drogen, weshalb Marihuana-Konsumenten beim Verlust der Selbstbeherrschung nicht unbedingt anfälliger für die Versuchung werden.
Wissenschaftler haben festgestellt, dass Frauen, die zu PMS neigen, doppelt so häufig am Arbeitsplatz fehlen wie Frauen ohne PMS. Grund dafür sind zum einen natürlich die Schmerzen, die mit PMS einhergehen, aber einige Frauen machen auch einfach blau, weil sie in dieser Zeit über weniger Selbstdisziplin verfügen. Es ist schwieriger, sich an die Spielregeln zu halten, wenn der Körper unterzuckert ist. In Frauengefängnissen brechen die Insassen in der Lutealphase mehr Regeln. Aggression und Gewalttaten – legale wie illegale – erreichen bei Frauen, die unter PMS leiden, an diesen Tagen ihren Höhepunkt. Frauen werden zwar selten gewalttätig, aber viele berichten über Stimmungsschwankungen in dieser Phase. Sie reagieren häufiger mit Gefühlsausbrüchen und leiden stärker. Sie führen mehr Auseinandersetzungen mit ihren Partnern und Kollegen. Insgesamt werden sie weniger gesellig und meiden andere Menschen, was an sich keineschlechte Idee ist, wenn sie den Konflikten aus dem Weg gehen wollen, die sich in Interaktionen ergeben könnten.
Nach der herkömmlichen Erklärung ist die Lutealphase direkt für die negativen Emotionen verantwortlich, doch diese Erklärung passt nicht zu den Daten. Frauen sind nicht in gleichem Maße von negativen Emotionen betroffen. Als Amanda Palmer als lebende Statue am Harvard Square stand, stellte sie fest, dass PMS ihre Selbstdisziplin beeinträchtigte, weil es positive und negative Emotionen verursachte.
»Ich bin insgesamt sensibler und weine öfter, wenn ich PMS
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