Die Macht der Disziplin
Video gesehen hatte: die buchstäblich die Wände hochgingen und an den Lampen schaukelten. Sie wusste, dass vierjährige Kinder schwer zu bändigen sein können, vor allem wenn sie gleich im Dreierpack auftreten. Aber sie hatte inzwischen genug Erfahrungen in anderen amerikanischen Familien gesammelt, um zu wissen, dass dahinter ganz andere Probleme auf sie warteten.
»In Familien wie diesen sind die Kinder leicht zu bändigen«, meint Carroll. »Sie suchen nach Halt. Sie wollen jemanden, der ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und ihnen sagt: ›Ich bin der Boss. Alles wird gut.‹ Das eigentliche Problem ist, die Eltern bei der Stange zu halten. Sie müssen lernen, sich selbst und die Kinder zu beherrschen.«
Carroll hatte mit Eltern wie diesen zu tun, seit sie im Alter von 18 Jahren hauptberufliches Kindermädchen wurde. Einer ihrer ersten Jobs in London brachte sie zu einer amerikanischen Mutter, die mit einem Engländer verheiratet war und hilflos zusah, wie ihr Kind Amok lief. »Die Kleine sprang buchstäblich auf dem Esstisch herum und hatte einen Tobsuchtsanfall«, erinnerte sich Carroll. »Und die Mutter hat nur zu ihr gesagt: ›Das ist nicht der richtige Ort, Liebling.‹ Es ist in Ordnung, wenn ein Kind einen Tobsuchtsanfall bekommt. Das ist normal. Aber wir müssen den Eltern beibringen, anders damit umzugehen.«
Die Pauls zeigten sich nicht ganz so entspannt wie die Mutter dieses Mädchens, aber wenn es darum ging, ihre Kinder zu disziplinieren,waren sie genauso hilflos. Wenn Vater Tim nach Hause kam und das Wohnzimmer mit Spielsachen übersät war, fegte er sie mit einem Hockeyschläger in einen Schrank. Mutter Cyndi, eine frühere Flugbegleiterin, die den Umgang mit unerzogenen Erwachsenen gewohnt war, kam mit den Drillingen nicht zurecht und hatte es längst aufgegeben, von ihnen zu verlangen, ihre Spielsachen selbst aufzuräumen oder sich anzuziehen. Als Carroll die drei aufforderte, ihre Socken anzuziehen – keine unmögliche Aufgabe für Kinder, die im Kürze eingeschult werden –, rannte eine von ihnen, Lauren, in die Küche, um ihrer Mutter ihre Socken zu bringen. Hysterisch schluchzend klammerte sie sich an sie und bat um Hilfe.
»Es hat mir fast das Herz gebrochen«, erinnert sich Mrs. Paul. »Das macht sie eine halbe Stunde lang. Das ist extrem frustrierend. Wenn sie ihren Anfall bekommt, stellte sie einfach immer wieder dieselbe Frage. An dem Punkt drehe ich einfach durch und will einfach nur noch schreien und alle ins Bett stecken.«
Wie immer gewann das Kind auch diesmal. Sehr zur Enttäuschung von Carroll zog Mrs. Paul dem Mädchen die Socken an. »Sie hat viereinhalb Jahre lang verrückt gespielt, und Sie haben es zugelassen«, sagte Carroll zu Mrs. Paul. »Was passiert in der zweiten Klasse, wenn sie ihre Mathehausaufgaben machen soll und keine Lust hat?«
Wenn man Szenen wie diese sieht, fällt es schwer zu glauben, dass Eltern es früher als ihre Pflicht ansahen, ihre Kinder zu schlagen. »Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind«, lautete ein beliebter Rat für Eltern, und man dachte, wer seine Kinder verwöhne, tue ihnen damit keinen Gefallen. Wir wollen hier auf keinen Fall einen Rückfall in die Zeiten der Kindesmisshandlung propagieren, aber wir sind der Ansicht, dass Eltern ihre disziplinierende Rolle wiederentdecken müssen. Es geht nicht darum, zornig zu werden und drakonische Strafen zu verhängen. Es geht vielmehr darum, sich die Zeit zu nehmen, das Verhalten des Kindes zu beobachten und angemessene Belohnungen und Strafen zu finden.
Egal ob Sie ein Kind ins Bett stecken oder einem Jugendlichen einPrivileg nehmen – jede Strafe hat grundsätzlich drei Aspekte: Härte, Schnelligkeit und Konsequenz. Viele Menschen bringen Disziplin mit harten Strafen in Verbindung, aber das ist der unwichtigste Aspekt. Im Gegenteil gelangte die Forschung zu der Erkenntnis, dass Härte wenig bringt und sogar kontraproduktiv sein kann. Statt korrektes Verhalten zu fördern, zeigt sie dem Kind lediglich, dass das Leben grausam und Aggression ein angemessenes Verhalten ist. Viel wichtiger ist die Geschwindigkeit, wie Wissenschaftler in Experimenten mit Kindern, aber auch mit Tieren festgestellt haben. Ratten lernen aus ihren Fehlern, aber die Strafe muss sofort erfolgen, am besten innerhalb einer Sekunde. So schnell müssen Sie bei Ihren Kindern nicht sein, aber je länger die Verzögerung, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Fehlverhalten und die vorangehenden
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