Die Macht der ewigen Liebe
ob sie selbst unsterblich wurde. Seitdem ich mich durch meine Nähe zu den Beschützern zu verändern begonnen hatte, hing diese Frage wie ein Damoklesschwert über mir. Was würde aus einer Beziehung, in der einer der beiden nie alterte?
Edith hätte beinahe meine Hand berührt, zog ihre Hand jedoch im letzten Augenblick zurück, als würde sie sich eines Besseren besinnen. »Wir sind nicht unsterblich. Wir altern wie jedes andere menschliche Wesen auch.«
Zumindest dafür dankbar, schloss ich die Augen. Gabriel würde sterblich werden, aber wir würden gemeinsam altern.
»Aber, Remy, du bist jetzt anders als wir«, setzte Edith in diesem Augenblick hinzu.
Ich riss die Augen auf und starrte sie verwirrt an.
Sie seufzte bedauernd. »Die Art, wie du deinen Mann heute Nacht geheilt hast … diese Gabe besitzen nur wenige von uns. Dazu muss man sich die Lebenskraft einer Heilerin angeeignet haben. Deine Freundin, non? «
Ich nickte, und das Herz schlug mir bis zum Hals, während ich zu entschlüsseln versuchte, was sie mir sagen wollte. »Es war ein Versehen. Sie starb, während ich sie zu retten versuchte.« Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen, die sich so trocken und körnig anfühlten wie eine Wüste. Vielleicht waren mir tatsächlich alle die Tränen ausgegangen, denn die neueste Enthüllung drohte mich zu zerbrechen, trotzdem konnte ich nicht weinen. »Wenn ich keine Heilerin bin und auch keine Beschützerin, was bin ich dann?«
Edith zuckte mit den Achseln. »Du bist nichts und alles davon. Meine Liebe, du bist ein Phönix.«
»Aber du hast doch gerade noch gesagt, ich bin nicht wie ihr …«, sagte ich verdattert.
»Wir sind noch keine Phönixe.«
Ihre knappe Antwort frustrierte mich, was sich auch in meiner Miene widergespiegelt haben musste.
Brita schnaubte. »Hör endlich auf, in Rätseln zu sprechen, Edith, und gib dem Mädel eine Antwort, verdammt. Siehst du denn nicht, dass du alles noch schlimmer machst?«
Edith warf Brita einen zornigen Blick zu, bevor sie fortfuhr. »Bei unserer Geburt sind wir halb Heilerin, halb Beschützerin, es besteht ein Gleichgewicht. Wenn wir allerdings einen Bund mit einem Beschützer eingehen, kippt das Gleichgewicht. Durch das, was wir ihnen nehmen, wächst unsere Macht. Aber du … du hast dir etwas von jemand anderem genommen – einer Heilerin. Du musst das Gleichgewicht wiederfinden.«
Ihre Worte ergaben für mich keinen Sinn. Wie konnte man bei etwas ein Gleichgewicht herstellen, über das man gar keine Kontrolle hatte? »Heißt das, ich werde unsterblich?«, fragte ich leise.
Edith schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich habe noch nie einen Phönix kennengelernt.«
»Ah, Remy, ich habe dich schon gesucht.«
Seamus kam herein und beendete damit unsere Fragestunde. Ich stand auf und ging ihm entgegen. Sein ernster Blick warnte mich, dass weitere Stürme bevorstanden. Lucy, Lottie, Gabriel und Asher folgten ihm in den Raum, Sean bildete das Schlusslicht.
»Das mit eurem Vater tut mir leid, aber ihr müsst verstehen, dass wir unsere Pläne, ihn zu befreien, nach der letzten Nacht unmöglich in die Tat umsetzen können. Ehrlich gesagt halte ich es für das Beste, wenn wir London unverzüglich verlassen.«
Seine Worte überraschten mich nicht wirklich. BeimDuschen hatte ich Zeit gehabt, mir alles durch den Kopf gehen zu lassen, und ich hatte schon vermutet, dass er etwas in der Art vorschlagen würde. Trotzdem fragte ich: »Warum?«
Er sah mich an, und ich spürte, wie ernst es ihm war. »Diese Frauen müssen beschützt werden. Die O’Malleys sind dazu verpflichtet, auf sie aufzupassen. Und auf dich aufzupassen, sofern du es gestattest. Das hat Vorrang vor dem Leben eines Mannes.«
Früher hätte ich mir vielleicht jemanden gewünscht, der mich rettete und auf mich aufpasste. Das galt nicht mehr, dafür waren die letzten Monate zu hart gewesen. Andere hingen von mir ab, und ich würde sie nicht im Stich lassen.
Ich durchbohrte Seamus mit meinem Blick. »Wenn dieser Mann mein Vater ist, sieht die Sache für mich anders aus.« Ich schloss die restlichen Personen im Raum in meinen Blick mit ein. Edith, Brita und Ursula beobachteten mich neugierig. »Es hat ja einen Grund, dass uns diese Gaben gegeben wurden. Vor Männern wie meinem Großvater werde ich mich nicht mehr verstecken oder mich ducken. Bitte helft mir!«
Sean legte einen Arm um Ediths Taille und verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln.
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