Die Macht der ewigen Liebe
antwortete wahrheitsgemäß. »Nein, das nicht, aber ich verstehe, wie es dazu kommen konnte. Die Heilerinnen haben die Beschützer ausgenutzt. Die Beschützer gingen auf die Heilerinnen los. Und davor gingen die Heiler auf diejenigen los, die wie ich von beiden Blutlinien abstammten.« Ich hielt beschwörend die Hände hoch. »Und nun willst du wieder einen Krieg gegen die Beschützer anzetteln. Wo soll das enden, Franc? Wie viele Menschen müssen noch draufgehen?«
Ein Teil von mir hoffte, er würde Vernunft annehmen. Denn eines hatte mich das Leben gelehrt: In einem endlosen Kreislauf brachte Gewalt nur neue Gewalt hervor. Wenn Franc die Beschützer umbrachte, würden sie einfach den Spieß umdrehen.
»Es endet, wenn ich das kriege, was ich will«, erwiderte er. Nachdem sich Xavier und Mark in Hörweite aufhielten, traute er sich nicht zu sagen, dass er jedem einzelnen Beschützer den Tod wünschte. Dadurch, dass er mit diesen Männern ein Doppelspiel trieb, ging er ein hohes Risiko ein. Schließlich konnten sie ihn mit einem Handgriff töten. Ich hätte sie ja gewarnt, doch war mir klar, dass sie mir nicht glauben würden.
»Egal, wer dabei verletzt wird?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete er schlicht. Er wandte sich ab, betrat die Tiefgarage, und Xavier stieß mich hinter ihm her.
Die Antwort meines Großvaters entzündete ein Feuer, das in meinem Bauch hell aufloderte. »Und was ist mit Erin? Alcais hat sie umgebracht. Hat sie eine Rolle gespielt?«
Er sah weg, und einen Moment glaubte ich, in seinem Gesicht Trauer zu sehen. Doch er zuckte nur mit den Achseln. »In jedem Krieg gibt es nun mal Verluste.«
Erin war ums Leben gekommen, und er tat das ab, als wäre sie eine Fremde. Dabei hatte sie früher zu ihm aufgesehen, ihm vertraut, dass er sie beschützen würde. Genauso, wie seine gesamte Gemeinde ihm vertraute. »Und die Heilerinnen wie Yvonne, die du den Beschützern geopfert hast? Waren die auch bloß ›Verluste‹?«
»Ja«, sagte er ohne eine Spur von Gewissensbissen. »Ich tue, was ich tun muss.«
Ich wollte gerade etwas erwidern, als ich Gabriels Stimme vernahm: »Remy, als Alcais uns gesehen hat, ist er auf und davon. Wir haben deinen Dad, Liebste. Und jetzt: Nichts wie weg von hier.«
Seine Mitteilung löste den Knoten in meinem Bauch. Ich senkte den Kopf und versuchte, meine Gefühle in den Griff zu kriegen. Doch es war unmöglich. Zum ersten Mal seit einem halben Jahr befanden sich mein Vater und meine Schwester in Sicherheit! Die ungeheure Erleichterung und Freude, die ich spürte, drohten mich zu überrollen, während ich mit Franc und acht Beschützern in den Aufzug stieg.
»Gehen wir!«, schnauzte mein Großvater, als die Aufzugtüren auf einer anderen verlassenen Etage aufglitten. Wir näherten uns einem schwarzen Wagen mit getönten Scheiben. Gabriel und die anderen waren nirgends zu sehen. Kurz überlegte ich, was sie wohl mit Alcais angestellt hatten, als sie ihm meinen Dad entrissen. Franc langte nach dem Türgriff, doch ich blieb stehen. Xavier versuchte, mich vorzustoßen, aber ich wich nicht von der Stelle. Die anderen Beschützer umringten mich.
»Warte«, sagte ich. »Ich muss dir etwas zeigen.«
»Remy?«, fragte Gabriel. Ich ignorierte ihn.
Franc zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, und ich griff in meine Manteltasche. Ich nahm das Handy, drückteauf das Lautsprechersymbol und hielt es hoch. Das beleuchtete Display zeigte an, wie lange die Telefonverbindung bereits stand. Als Anrufer war Erins Haus angezeigt.
Franc riss mir das Handy aus der Hand. »Wer ist dran?«, fragte er vorsichtig. Man sah ihm an, dass er überlegte, was die Person gehört haben mochte und welcher Schaden entstanden war.
Eine lange Zeit passierte nichts, dann flüsterte Erins Mutter: »Du Schwein!«
Der hilflose Gesichtsausdruck meines Großvaters befriedigte mein dunkles Bedürfnis nach Rache. Nur Asher kannte diesen Teil des Plans: Beschützt die Heilerinnen. Letzten Endes war ich mir nicht hundertprozentig sicher gewesen, ob Seamus auf meiner Seite stehen würde – schließlich war er ein Beschützer, und Beschützer hatten ein Jahrhundert damit verbracht, Heilerinnen zu töten. Vielleicht tat ich ihm unrecht, aber ich kannte ihn nicht sonderlich gut, und ich hatte gelernt, dass man sorgfältig abwägen musste, wem man vertraute.
»Remy sagte, du hättest uns verraten, und ich habe gesagt, sie sei eine Lügnerin. Dabei hast du hinter allem gesteckt. Hinter allem, was geschehen
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