Die Macht der ewigen Liebe
Nähe an weiteren Tischen oder hatten sich unter die Besuchermenge gemischt. Franc ahnte davon nichts – er wusste ja gar nicht, dass die Familie O’Malley überhaupt existierte.
Da Gabriel, Asher und Lottie erkannt werden konnten, hatten sie sich außerhalb seines Blickfelds versteckt, doch ich konnte spüren, dass auch sie mich beobachteten. Trotzdem: Als ich mich nun Franc gegenüber an den Tisch setzte, schlug mein Herz wie verrückt.
Wir starrten einander an, registrierten die Veränderungen, die die letzten Monate mit sich gebracht hatten. Francs weiße Mähne war jetzt kurz geschoren und er hatte sich einen Bart wachsen lassen. Der weißgraue Backenbart ließ ihn aussehen wie einen liebenden Großvater, und seine braunen Augen erinnerten mich einen schmerzlichen Augenblick lang an meine Mutter. Seine breiten Schultern und seine hünenhafte Größe erinnerten mich allerdings daran, dass er kein sanfter Riese war, sondern eine Gefahr. Wörter wie »sanft« und »liebend« beschrieben diese Art von Mann nicht im Geringsten. Beinahe wäre meine Wut wieder hochgebrodelt.
Denk an den Plan, Remy! Zuerst vergewissere dich, dass Ben noch lebt. Der ganze Plan ist sinnlos, wenn er tot ist.
Es tat weh, dieses Wort auch nur zu denken, weshalb mein Schmerz in meiner Stimme widerhallte. »Wo ist mein Vater, Franc? Du hast versprochen, ihn herzubringen.«
Mein Großvater hörte auf, mich zu mustern, und ich fragte mich, welche Veränderungen er festgestellt haben mochte. Meine Trauer glich mitunter zersplittertem Glas, sie stach und hielt mich wach. Und dann gab es Momente, in denen ich mich völlig abgenutzt fühlte, stumpf und widerstandslos. Ich warf einen kurzen Blick zu Lucy, ob mit ihr alles okaywar. Wie sie so dasaß und uns beobachtete, wirkte sie zwar ängstlich, aber auch unbeugsam. Ihre Haltung gab mir Kraft, und ich war noch nie stolzer auf sie gewesen.
Franc zog eine graue Augenbraue nach oben und verspottete mich stumm. In seinem Größenwahn glaubte er, er könne mich herumschubsen, ohne dass ich mich wehrte.
Ich stand auf. »Du hast deinen Teil der Abmachung nicht eingehalten. Okay, dann blasen wir das Ganze eben ab.«
Aus einer verdrehten Art von Zuneigung heraus lachte er. »Ich sehe schon, du hast dich nicht verändert. Setz dich!« Ich ignorierte seinen Befehl. Die Belustigung verschwand aus seiner Miene, und angesichts des gefährlichen Ausdrucks in seinen Augen fing mein Herz an zu rasen. »Setz dich!«, wiederholte er mit sanfter Stimme, die mich mit Angst erfüllte.
Unwillkürlich ließ ich mich auf meinen Stuhl zurückfallen.
»Remy, stellen wir doch mal ein paar Dinge klar. Du bist hier nicht in der Position, verhandeln zu können. Du wirst jetzt mit uns dieses Gebäude verlassen, und zwar ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Weißt du, warum?«
Ich schüttelte den Kopf. Mir lief der Schweiß den Rücken herunter, mein Entsetzen war sehr echt.
Franc zog ein Handy aus seiner Tasche, drückte auf ein paar Tasten und schob es dann über den Tisch. Auf dem Display lief ein Video. Die Kamera neigte sich, schwenkte wahllos über Schatten und Lichter, dass mir ganz schwindelig wurde. Dann sagte er: »Zeig Remys Vater!«, und die Kamera bewegte sich hoch und hielt dann bei einem Gesicht an.
Das Herz rutschte mir in die Hose. Zum ersten Mal seit sechs Monaten sah ich meinen Vater. Ich bekam keine Luft mehr und griff nach dem Handy, um besser sehen zu können, doch Franc packte mich am Armgelenk.
»Beruhig dich, oder ich stecke das Handy gleich wiederweg«, warnte er mich und schaute sich um, ob ich auch niemanden auf uns aufmerksam gemacht hatte. Zum Glück schien keiner etwas von meinem Ausbruch mitbekommen zu haben.
Ich biss mir auf die Lippen und nickte. Franc nahm seine Hand weg, und mein Blick schnellte zurück zu meinem Dad. Sie hatten ihn gefoltert. Beide Augen waren zugeschwollen, seine Mundwinkel waren blutverkrustet, und er war, soweit ich das erkennen konnte, übersät mit Blutergüssen in allen Schattierungen. In Gelb, Grün, Lila, Rot, Rosa. Was bedeutete, dass man ihn so oft geschlagen hatte, dass die neuen Blutergüsse alte überlagerten. Wie viel Schmerz hatte er erdulden müssen? Mein Magen zog sich zusammen, und ich schluckte.
»Dad«, sagte ich mit brüchiger Stimme.
Mein Dad wandte den Kopf in verschiedene Richtungen, als ob er feststellen wollte, aus welcher meine Stimme kam. »Remy? Bist du’s?«
»Ja, ich bin’s, Dad. Ich bin hier.«
»Gott sei Dank, du bist am
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