Die Macht der ewigen Liebe
hat gemeint, wir sollten ihn laufen zu lassen.«
»Vielleicht kehrt er doch zu seiner Familie zurück. Oder er schließt sich den Morrisseys an. So oder so, uns hilft es jedenfalls, wenn er allen erzählt, dass er dich hat sterben sehen«, meinte Asher.
Unser Plan hatte anders ausgesehen. Wir wollten, dass er sieht, wie ich all meine Gaben verliere, aber so war es besser. Für unsere Gegner existierte ich nicht mehr, was hieß, dass meine Familie und Freunde nicht länger befürchten mussten, als Druckmittel gegen mich eingesetzt zu werden. Sie waren frei. Mich überfielen Freude und Trauer zugleich. Freude, weil sie frei waren, und Trauer, weil mein »Tod« bedeutete, dass ich mich von ihnen fernhalten musste. Dabei hatte ich ein ganz kleines bisschen darauf gehofft, dass ich doch noch eine Möglichkeit finden könnte, weiter an ihrem Leben teilzuhaben, auch wenn wir nicht zusammenleben konnten.
Ich wandte mich wieder der Unterhaltung zu. Seamus erklärte gerade, dass die Polizei sowohl meinen Großvater als auch den Revolver finden würde, mit dem Alcais Franc erschossen hatte. Bei dem Gedanken an Franc stellte sich definitiv keine Trauer ein. Ich hatte ihn einst lieben wollen, aber dieses Gefühl hatte er zerstört. Nachhaltig zerstört!
»Ich möchte jetzt zu meinem Dad«, erklärte ich Gabriel.
Er half mir aufzustehen, legte dann einen Arm um mich und zog mich an sich. »Noch nicht, Liebste. Erst musst du dich mal in einen menschlichen Zustand bringen, sonst macht er sich Sorgen.«
Ich schaute auf mein Shirt und erschauerte beim Anblick der blutigen Flecken. Gabriel hatte recht. Ich musste erst duschen, bevor ich zu meinem Vater ging. Ob er mich überhaupt sehen wollte? Dieses Risiko musste ich eingehen.
Sobald ich einigermaßen vorzeigbar war, brachte mich Gabriel zum Zimmer meines Vaters. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Gabriel mich beobachtete, und ich überlegte,was er sich wohl dachte. Doch dann konnte ich nur noch an meine Familie denken und den Kummer, den ich unweigerlich verursachen würde.
An der Tür hielt ich inne. »Ich muss da allein rein«, erklärte ich Gabriel.
Ich hatte schreckliche Angst, ich würde seine Gefühle verletzen, aber Gabriel lächelte und küsste mich auf die Stirn. »Na, dann los. Ich bin in der Nähe, falls du mich brauchst.«
Ich umarmte ihn dankbar. Dann trat ich ein und schloss die Tür mit dem Gefühl, als ob sich eine Zellentür hinter mir schließen würde. Das Ganze würde auf keinen Fall einfach werden. Franc hatte meine Familie zerstört, weil ich war, was ich war. Als ich meinen Vater das letzte Mal sah, hatte er gerade erst erfahren, dass ich ein bisschen mehr als nur menschlich war. Was mochten Francs Leute über mich erzählt haben?
Meine Augen stellten sich angesichts des trüben Lichts scharf. Mein Vater lag in der Mitte eines übergroßen Betts und schien zu schlafen. Lucy pennte in einem Sessel auf der anderen Zimmerseite. Das schwarze Haar meines Vaters hob sich scharf von dem weißen Kissen ab, auf dem sein Kopf lag. Von seiner Dauerbräune, die er immer so gern kultiviert hatte, war nichts mehr zu sehen, ansonsten schien er fast der gut aussehende Mann zu sein, der mich zu sich geholt und mir eine Familie geschenkt hatte. Brita und Ursula hatten ihn von allen Spuren der Folter befreit, doch das änderte nichts daran, was man ihm angetan hatte. Die tiefen Falten um seine Augen und seinen Mund sprachen Bände.
In meinem Magen verknoteten und verklumpten sich Nerven, als alle meine alten Ängste wieder an die Oberfläche stiegen. Nach allem, was geschehen war, würde er mich nun hassen? Wäre er davon angewidert, was ich war? Würde er mir die Schuld an Lauras Tod und an Francs Folter geben?
Hör auf, dich selbst zu bemitleiden, Remy . Du hast dein Bestes getan .
Ich blickte zu meiner Schwester. Selbst im Schlaf sah sie erschöpft aus. Ich ging ums Bett herum und kniete mich neben ihren Sessel. »Lucy?«, flüsterte ich. Ich strich über ihren Arm.
Sie wachte sofort auf, und auf ihrem Gesicht machte sich Angst breit, bis sie mich erkannte. Dann fiel sie mir in die Arme, sodass ich beinahe hingeplumpst wäre. Erst lachten wir, dann weinten wir.
»Wir haben es geschafft!«, flüsterte sie. »Wir haben ihn wieder!«
Ich bin mir nicht sicher, ob wir beide es wirklich für möglich gehalten hatten, doch die Hoffnung hatte uns Kraft gegeben. Wir setzten uns auf den Boden und lehnten uns aneinander. Ein überwältigendes Chaos an Gefühlen
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