Die Macht der ewigen Liebe
wurde. Weshalb ich diese Woche vorgeschlagen hatte, allein auf Erkundung zu gehen; ich wollte nicht noch mehr Porzellan zerschlagen. Die anderen hatten nur halbherzig Einwände gegen meinen Vorschlag erhoben. Das hattemich verletzt. Ich brauchte etwas Abstand von ihnen, damit ich meine Wunden lecken konnte.
In wenigen Minuten hatte ich die paar Blocks bis zum Strand zurückgelegt. Mein ganzes Leben lang hatte ich in der Nähe vom Wasser verbracht, in New York war es der East River gewesen, in Maine der Atlantik. Ich fragte mich, wie man ohne die Nähe zum Wasser, das einen zudem daran erinnerte, wie klein man doch war, zurechtkam.
Am Ufer setzte ich mich in den Sand, zog die Knie an und stützte meine Ellbogen darauf. Ich schlürfte meinen Kaffee und ließ mich vom Rauschen des Meeres und dem sanften Sonnenaufgang verzaubern. Ein paar Surfer in langen Neoprenanzügen saßen rittlings auf ihren Boards, glitten gekonnt über das sanfte Auf und Ab der Dünung. Immer wieder riefen sie einander etwas zu, allerdings verstand ich ihre Worte nicht. Alles war in ein rosa-goldenes Licht getaucht, und die Enge in meiner Brust ließ ein wenig nach. Ich schob meine Sonnenbrille ins Haar und schloss die Augen, um die Sonnenstrahlen in mich aufzunehmen.
»Hallo, Lottie«, sagte ich, ohne mich umzudrehen. Zu ihrem Schutz zog ich vorsichtig meine mentale Mauer hoch. Dann setzte ich die Sonnenbrille wieder richtig auf, um einer Migräne zu entgehen, die durch Licht verursacht werden konnte. Auf Abstand bedacht, ließ Lottie sich ein Stück von mir entfernt in den Sand fallen. Ausnahmsweise hatte sie ihre High Heels gegen Laufschuhe eingetauscht. Sie spürte die Kälte nicht wie ich, trotzdem hatte sich ihr kantiges Gesicht ein wenig gerötet.
»Woher wusstest du, dass ich das bin?«, fragte sie.
Ich bedachte sie mit einem kleinen Lächeln. »Das bist du doch immer. Asher hat dich gebeten, mir zu folgen. Wieder einmal.«
Ich hatte schon vermutet, dass ich meine Patrouillengänge nicht wirklich allein unternahm. Ihre Gegenwart hatte ich mehr als einmal gespürt, auch wenn Lottie es wirklich gut verstanden hatte, sich zu verbergen.
»Du wusstest es!«, warf sie mir vor.
Ich schnürte meine Schuhe auf, zog sie aus und schüttete den Sand aus. »Asher weiß, dass ich mich nicht einsperren lasse. Also versucht er es auf diese Tour.«
Lottie schlüpfte ebenfalls aus ihren Schuhen, schüttete sie aus und starrte dann angewidert auf die Sandkörner. Sie hatte sie gar nicht gespürt. »Ihr Typen seid so furchtbar mental drauf. Er schickt mich dir hinterher und behält Lucy im Auge. Wieso tut ihr uns nicht alle den Gefallen und passt aufeinander auf?«
»Du weißt, wieso«, sagte ich und beobachtete sie. »Aus demselben Grund bist du ja schließlich auch hier.« Sterblichkeit machte Lottie Angst, weshalb sie mit meinen Heilfähigkeiten nichts zu tun haben wollte.
Sie errötete und schwieg.
»Darf ich dich etwas fragen?«
Sie funkelte mich verärgert an, nickte aber.
»Wieso bist du hier, Lottie? In San Francisco, meine ich?«
Es hatte mich gewundert, als sie uns gefolgt war. Schließlich hatte sie aus ihrem Vorhaben, mich möglichst zu meiden, nie einen Hehl gemacht. Sie nahm eine Handvoll Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln. Ich machte es ihr nach und genoss, wie seidig er sich anfühlte. Die Meeresluft stieg mir in die Nase und legte sich zusammen mit Erinnerungen an Sandburgen und Eiscreme auf meine Seele. Ich war in der Lage, so vielem nachzuspüren, was ich erlebt hatte. Lottie war das verwehrt. Ich könnte ihr helfen, ihre Sinneswahrnehmungen zurückzugewinnen, aber das lehnte sie ab.
Sie wischte sich die Hände an ihren Designerjeans ab und überlegte sich ihre nächsten Worte. »Wegen meiner Brüder. Für sie würde ich alles tun. Sie sind das Einzige an Familie, was ich noch habe, und wenn sie mich hier brauchen, dann bin ich auch hier.«
Ich hatte Respekt vor ihrer Entscheidung, eine Entscheidung, die ich für mich selbst schon lange gefällt hatte. »Das verstehe ich, gleichzeitig muss dir doch bewusst sein, was für ein Risiko du eingehst.« Ich deutete auf sie und mich. »Du solltest mir fernbleiben.«
Lottie verzog das Gesicht. »Okay, Mom.« Ich musste ein betroffenes Gesicht gemacht haben, denn sie zuckte zusammen und murmelte: »Oh, sorry.«
Der Wind zerzauste ihren eleganten, gepflegten Bob zu einem Durcheinander aus brünetten Wellen, und ich erinnerte mich an ein Foto, das ich in Ashers Inselhaus
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