Die Macht der Macht
die begehrte und gewährte Mitgift.
Diesen Sachverhalt erklärt die Social Exchange Theory, die Theorie vom sozialen Austausch. Sie postuliert, dass Beziehungen zwischen Menschen von einer impliziten Kosten-Nutzen-Rechnung und dem Abgleich mit Alternativen geprägt sind. Die Grundpfeiler dieser Theorie sind die Konzepte Kosten, Nutzen, Ergebnis, Vergleich, Befriedigung und Abhängigkeit. »Nutzen« beschreibt materiellen Ertrag, sozialen Status und emotionales Wohlbefinden. »Kosten« meint Zeitaufwand, Geld oder verlorene, weil durch die getroffene Wahl ausgeschlossene Optionen. »Ergebnis« beschreibt den Unterschied zwischen Kosten und Nutzen. »Befriedigung« berücksichtigt die Tatsache, dass Menschen unterschiedliche Erwartungen an ihre Beziehungen haben und dementsprechend mit demselben Ergebnis unterschiedlich gut zufrieden sind. Menschen wägen ihre aktuelle Situation gegen die verfügbaren (oder die ihrer Ansicht nach verfügbaren) Alternativen ab. Viele Optionen oder wenige, dafür aber sehr gute Alternativen bedeuten eine geringere persönliche »Abhängigkeit« von einer individuellen Beziehung. Ebenso spielen hier intrinsische (beispielsweise Schüchternheit) wie extrinsische (zum Beispiel Lebensstil) Faktoren eine Rolle.
In einer Konstellation wie oben beschrieben profitieren meist beide Beteiligte von einer Affäre – vom körperlichen Wohlbefinden bis hin zu finanziellen Vorteilen, dem dringend erwünschten Schub für die Karriere oder einer sich anschließenden Ehe mit der dazugehörigen rechtlichen Absicherung.
Dominique Strauss-Kahn wurde die schnelle Nummer mit dem 32-jährigen Zimmermädchen aus Guinea zum öffentlichen Verhängnis. Wir wissen nicht, ob Gewalt im Spiel war oder der Sex im Konsens stattfand. Entscheidend ist, dass Dominique Strauss-Kahn den Akt auf dem Zenit seiner Karriere beging: Als Direktor des Internationalen Währungsfonds mit immerhin steuerfreien 295000 € Jahresgehalt plus 53000 € Aufwandsentschädigung (viel Geld, und doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, verglichen mit dem auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzten Vermögen seiner Frau, Anne Sinclair). Dominique Strauss-Kahn war auf dem Weg zur aussichtsreichen Kandidatur um die Präsidentschaft Frankreichs – zur ultimativen Machtposition in seinem Heimatland. Seine Biografie ist allerdings dadurch gekennzeichnet, dass er ständig Grenzen überschreitet. Vieles davon ist seit Jahren öffentlich bekannt. Die Schauspielerin Danièle Evenue sagte unwidersprochen im Radio: »Wer wurde eigentlich noch nicht von ihm angemacht?« Véronique Bensaid, eine frühere Mitarbeiterin, berichtete Michel Taubmann für die Biografie von Dominique Strauss-Kahn, dass im Gegenzug auch die Frauen ihm scharenweise hinterherliefen. Dominique Strauss-Kahn stellte selber fest, er habe ein freizügiges Sexleben geführt, und einschlägige Partys seien in Politikerkreisen doch üblich.
Gelegenheit macht Diebe, sagt der Volksmund, und offensichtlich ist die Summe der Gelegenheiten deutlich größer, wenn Sie Macht haben. Auch scheinen Menschen in hohen Positionen eher zur Untreue zu neigen. Das bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen. Macht, übersteigertes Selbstbewusstsein und hohe Risikobereitschaft scheinen Hand in Hand zu gehen. Studien von Cameron Anderson und Adam Galinsky belegen, dass Menschen immer dann gesteigertes Risikoverhalten zeigen, wenn sie sich mächtig fühlen. Sie bevorzugen beispielsweise Investitionen in Geschäfte, die zwar riskanter sind, aber auch einen höheren Profit versprechen. Unterschiede zwischen Frauen und Männern zeigen diese Studien nicht. Menschen in hohen Positionen konzentrieren ihre Aufmerksamkeit stärker auf die möglichen Belohnungen als auf das potenzielle Risiko. Diese Wahrnehmung von Kontrolle und Erfolgspotenzial gilt auch für tatsächlich unkontrollierbare Risiken. So glauben beispielsweise auch 81 Prozent der Firmengründer, dass ihre Firma die ersten fünf Jahre überlebt. Tatsächlich schaffen das nur 35 Prozent.
Macht bedeutet die Kontrolle über Entwicklungen. Kontrolle bedeutet Konstanz, Planbarkeit, Sicherheit und die Möglichkeit, weiterhin Einfluss zu nehmen. Und wenn vergangene Erfolge – in diesem Fall bei Sexualpartnern – bestätigen, dass es gut geht, dann verlängern wir diese Erfolgserwartung natürlich in die Zukunft. Das promiskuitive Verhalten wird also im Falle erfolgreicher Liebschaften in der Vergangenheit in Zukunft eher noch häufiger werden.
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