Die Macht der Macht
sich meist aber auch nicht besonders emsig um kritische Rückmeldungen. »Memento mori. Bedenke, dass du sterben wirst.« Den siegreichen Feldherren im alten Rom soll ein Sklave diesen Satz beim Triumphzug beständig ins Ohr gerufen haben, während er dem Triumphator den Lorbeerkranz über das stolze Haupt hielt. Macht korrumpiert, sie verändert die Wahrnehmung und je höher die Mächtigen steigen, auf desto weniger Widerstand treffen sie. Schließlich möchte jeder in der Entourage für die eigene Karriere sorgen. Weder traut sich jemand, die schlecht gehaltene Rede kritisch zu kommentieren, noch weisen Mitarbeitende den Chef oder die Chefin auf die – sprichwörtlich oder tatsächlich – offene Hose hin.
Denken Sie beim Thema Macht und Sex nicht nur an »die ganz oben«. Macht ist auf allen Ebenen der Gesellschaft präsent und wird an vielen Stellen zur Erlangung von Sex eingesetzt: Da gibt es die nahezu unüberschaubare Schar an Geistlichen aller Ränge und vieler Konfessionen, die sich aufgrund ihrer Machtposition an Abhängigen und Schutzbefohlenen sexuell vergehen konnten. Da verteilt mancher Lehrende an Schulen und Hochschulen gute Noten nicht nur für intellektuelle Leistungen, und in vielen Unternehmen befördert nicht nur die fachliche Kompetenz die Karriere. Das Seitensprungportal FirstAffair.de befragte eintausend Deutsche zwischen 18 und 76 Jahren. Demnach sind deutsche Arbeitnehmer generell offen für sexuelle Begegnungen im Büroumfeld. 36 Prozent hatten bereits ein erotisches Abenteuer am Arbeitsplatz, jede fünfte der Frauen mit ihrem Chef, ohne dies als Belästigung zu empfinden.
Es gibt keine Kultur, in der sexuelle Grenzüberschreitungen unbekannt wären – vollkommen unabhängig von Moral, Religion oder Strafen. Forschungsergebnisse zeigen immer wieder, dass mehr als 70 Prozent der Männer und mehr als 50 Prozent aller Frauen sich zu Affären bekennen. Unternehmen sehen diese Thematik zunehmend als ein Problem und versuchen, dem Missbrauch der Macht durch einen konsequenten Verhaltenskodex vorzubeugen. Natürlich sind die Mächtigen der Wirtschaft nicht moralischer und damit nicht treuer als andere Menschen. Brisant für das Unternehmen wird es, wenn das Thema Sex zum öffentlichen Thema wird. »Wird eine Affäre zur Schlagzeile, kann sich der Manager erschießen, dann ist’s aus mit der Karriere«, sag Dieter Rickert, ein Altmeister unter den Headhuntern. »Ein Manager, der seinen Trieb nicht unter Kontrolle hat, kriegt früher oder später ein Problem.« So verlor der weltgrößte Chemiekonzern BASF vor drei Jahren einen Aspiranten auf den Vorstand: »Der Aufstieg des Mannes war bereits beschlossen, sogar öffentlich verkündet, als die Liaison mit einer BASF-Angestellten aufflog. Sofort wurde die Beförderung rückgängig gemacht, von einem Tag auf den anderen verließ der Manager den Konzern, offiziell aus persönlichen Gründen«.
Der Missbrauch der Macht im sexuellen Austausch hat wahrscheinlich auch mit einer weiteren Facette des menschlichen Zusammenlebens zu tun: Nach einer gewissen Zeit in einer Partnerschaft lassen der Grad der sexuellen Anziehungskraft und auch die sexuelle Aktivität meist nach. Der Partner mit dem geringeren Bedürfnis nach sexueller Nähe bestimmt dabei fast immer Menge und Intensität. Das trifft für Otto Normalmensch genauso zu wie für die Strauss-Kahns dieser Welt. In einer von Macht bestimmten Beziehung mit einem abhängigen Partner verkehrt sich diese Konstellation ins Gegenteil: Der mächtige Partner kontrolliert den Sex: wann, wie, wo und wie oft. Damit ist es für ihn natürlich leichter, Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen, statt den Aufwand mit dem mühevollen Werben um einen unwilligen und vielleicht mittlerweile sogar weniger attraktiven Partner zu betreiben.
Joris Lammers forscht als Psychologe an der niederländischen Tilburg Universität. Er führte mit 1561 Teilnehmenden eine Untersuchung zu den Schlüsselfaktoren der Untreue durch. Er stellte dabei fest, dass eine Machtposition am ehesten zur Untreue prädestiniert. Menschen mit Macht entwickeln ein starkes Gefühl von Selbstsicherheit und damit einhergehend eine größere Bereitschaft, Risiken einzugehen. Zwischen den Geschlechtern fanden sich in der Studie keinerlei Unterschiede.
Für Ihr eigenes Handeln denken Sie an die alte Weisheit: Wenn Sie Ihre Macht behalten wollen, trennen Sie Beruf und Privates. Wiegen Sie sich nicht in der trügerischen Sicherheit, dass man ausgerechnet
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