Die Macht der Macht
für Klimafolgenforschung und wird als solcher von den Medien auch gerne als »Klimapapst« bezeichnet. Er verkündete, dass man nun dank neuer wissenschaftlicher Modelle wisse, dass bei in bisherigem Tempo fortschreitender Erwärmung in 100 Jahren alle Himalaja-Gletscher verschwunden sein dürften.
Alexander Hübner ist Geschäftsführer des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation. Er beschreibt die Möglichkeiten von Klimaprognosen kritischer: »… da werden unsere technischen Möglichkeiten weit überschätzt. Überlegen Sie mal: Wir brauchen, allein um das Wetter von morgen für Hamburg, Osnabrück oder Wernigerode vorhersagen zu können, Daten aus der ganzen Welt. Die Rechner füllen ganze Lagerhallen. Alle sechs Stunden werden neue Modellergebnisse berechnet. Und die können alle sechs Stunden ganz anders aussehen, weil das Wetter so komplex ist.« Wer hat Recht? Der Experte … oder der Experte?
Im April 2009 schlug die Weltgesundheitsorganisation Alarm. Der H1N1-Virus stand vor der Tür – und dieser neuartige Grippevirus würde Millionen infizieren und Hunderttausende nicht Geimpfter als Todesopfer fordern. Die meisten Experten waren sich einig. Shin Young-Soo, Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, fasste die Meinung zusammen: »Ab einem gewissen Punkt wird es so scheinen, als gebe es eine Explosion der Fallzahlen. Es ist sicher, dass es viel mehr Fälle und viel mehr Tote geben wird.« Eine gewaltige Impfkampagne lief an. Doch nur wenige Deutsche ließen sich impfen. Und die Seuche verlief glimpflich. Weltweit starben 16500 Menschen, weit weniger als an der üblichen saisonalen Grippe. Im Sommer 2010 wurde die Pandemie offiziell für beendet erklärt. Rund 30 Millionen Impfdosen blieben übrig, die geschätzten Kosten liegen bei 245 Millionen Euro. Die Macht der Experten führte zu erheblichen Ausgaben der Gesundheitssysteme, nicht zum Schaden der Hersteller von Impfstoff.
Es gibt viele solcher unfehlbarer Expertenurteile: »In der vorliegenden Wertung erweist sich Island als zukunftsfähigste Region Europas.« Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung stellte diese »Tatsache« im Sommer 2008 mit Nachdruck fest. Ab Herbst 2008 stellte sich die Lage ein wenig anders dar – Island war pleite. Im Frühjahr 2010, anlässlich des Ausbruchs des Eyjafjallajökull, witzelte dann die Welt im Internet über die zweifach beklagenswerte Situation der Insel: »Iceland misunderstood: They gave us ash, not cash.«
Auch Bill Gates, der unumstrittene Herrscher von Microsoft, sollte es besser wissen. Und doch formulierte er 2004: »In zwei Jahren wird das Spam-Problem erledigt sein.« Dabei werden allein in den USA rund 60 Billionen Spam-Mails pro Jahr verschickt, deren Kosten für die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika auf 22 Milliarden Dollar geschätzt werden. Bill Gates glaubte allerdings auch 1989 noch fest daran, dass OS/2 das Betriebssystem der 1990er Jahre werden würde.
Sogar Kaiser können irren: 1990 befand Franz Beckenbauer, der unangefochtene Fußball-Kaiser der Deutschen: »Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber wenn jetzt nach der Wiedervereinigung demnächst auch noch all die Fußballer aus dem Osten dazukommen, wird diese Mannschaft auf Jahre hinaus nicht zu schlagen sein.« Diese deutsche Unbesiegbarkeit dauerte dann lediglich knappe zehn Monate an.
Für die in den Medien vertretenen Experten ist noch ein anderer Effekt von Bedeutung: Je näher uns eine Quelle steht, desto größer ist ihre Wirkung. Die Medien bringen uns die Experten sehr nahe. Sie sitzen vom Fernseher aus quasi in unserer Mitte im Wohnzimmer. Das häufige Erscheinen in den Medien sorgt für eine Steigerung des sozialen Einflusses.
Für den Experten wirkt zudem der »Halo-Effekt«. Der beschreibt das Phänomen, dass wir uns von isolierten, aber prägnanten Merkmalen besonders stark beeinflussen lassen. Die Gesamtbeurteilung des Menschen verschiebt sich dann entsprechend in eine positive oder negativeRichtung. Stößt der Bewerber im Gespräch beispielsweise seine Kaffeetasse um, dann werden wir diese Person insgesamt als ungeschickt beschreiben. Das ist auch einer der Gründe, warum es eben doch wirkt, wenn Steffi Graf uns Nudeln und Sauce empfiehlt, Boris Becker eine Biersorte und Veronica Ferres den richtigen Mobilfunkanbieter. Alle diese Menschen haben auf bestimmten Gebieten Hervorragendes geleistet und wir neigen dazu, ihnen darum auch Kenntnisse auf anderen Gebieten
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