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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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trägerartigen Bogen, der Seile aus einer grünen Masse ausstieß wie eine Seidenraupe. Die Seile schlangen sich durch Ösen in der gegenüberliegenden Wand, wodurch der Bogen sich absenken konnte. Jeshua erhob sich auf dem unruhigen Boden und folgte Thinner.
    »Das sind nur Vorbereitungsarbeiten«, erläuterte Thinner, während er ihn in den Cyborg-Raum lotste. »In ein paar Stunden wird sich die große strukturelle Einheit demontieren, dann die Wände, die Decken- und Bodenplatten, zuletzt der Rest. Heute abend wird die ganze Stadt mobil gemacht haben. Das Mädchen wird in wenigen Minuten hier sein – ihr könnt zusammen reisen, wenn ihr wollt. Diese Einheit wird dich instruieren, wie du die Rekonfiguration der Stadt unbeschadet überstehst.«
    Aber Jeshua verfolgte andere Pläne. Er befolgte Thinners Anweisungen und legte sich wie ein Cyborg in ein Regal, wobei er sich versteifte, als das Mädchen zu einer anderen Tür hereinkam und sich in seiner Nähe niederlegte. Er schwitzte heftig, und der Geruch seiner Angst verursachte ihm Übelkeit.
    Das Mädchen schaute ihn scheu an. »Du weißt, wat dir b’vorsteht?« fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf.
    Die Klappen am Regal schlossen sich und arretierten ihn in einer unbequemen, aber sicheren Position. Er verhielt sich ruhig. Der Raum desintegrierte sich. Platten unter den Regalen zogen sich zurück, und Räder fuhren aus. Bebend vor neuer Energie erhoben sich die Regale und rollten ihre Fracht hinaus.
    Die Regale formierten sich zu einer langen Kolonne und rollten durch eine Halle, die mit wuselnden Maschinen angefüllt war. Hinter ihnen demontierte die Halle sich mit frisch ausgestoßenen Seilen, frisch gesprossenen Greifarmen und Füßen, Rädern und Ketten.
    Es war ein Tanz. Mit der Präzision einer Blume, die sich für die einsetzende Nacht schließt, schrumpfte die Stadt, kapselte sich ein, legte sich flach zusammen und wurde auf Kreaturen mit breiten Ketten und unergründlichen jadegrünen Augen verladen. Die Regale wurden auf Anhängern verstaut, die wie flache Spinnen aussahen, deren lange, vielgelenkige Beine sich in einem fließenden Rhythmus auf und ab bewegten. Hundert Spinnen wie diese transportierten die übrigen Regale, und eine Choreographie aus Tausenden von Zugmaschinen, Robotern, organischen Kränen und monströsen Cyborgs wartete in konzentrischen Kreisen um Mandala. Südlich der schneebedeckten Gipfel von Arat zog ein Unwetter auf. Während der Tag verstrich und Mandala sich demontierte, zog die graue Front schnell näher und stand schließlich über der Stadt. Eine Wolkenbank streifte die sich zerlegenden oberen Ebenen. Regen fiel auf die Reihen der mechanischen und halborganischen Maschinen, und der Boden färbte sich dunkel mit Schlamm und zertrampelter Vegetation. Aus den Rücken der spinnenartigen Anhänger wuchsen transparente Häute, die an starren Schaumstoffrohren befestigt waren. Thinner krabbelte zwischen den Regalen hindurch und kam auf Jeshua zu, der bereits steif und wundgelegen war.
    »Wir haben das Mädchen freigelassen«, meldete Thinner. »Sie hat gar keine andere Möglichkeit, als mit uns zu gehen. Wirst du versuchen, zu verschwinden?«
    Jeshua nickte.
    »Das wird dir nur Schwierigkeiten einbringen. Aber ich glaube nicht, daß dir etwas geschehen wird.« Thinner schlug auf das Regal, und die Klappen schwangen weg. Dunkelheit sperrte das Unwetter aus. Durch die Haut des Anhängers konnte Jeshua sehen, daß die Stadt-Teile und Fahrzeuge eine Innenbeleuchtung einschalteten. Der strömende Regen verzerrte die Lichter zu gezackten Tupfern und Balken. Er streckte Arme und Beine aus und zuckte zusammen.
    Eine große Zugmaschine, deren Front aus einem stumpfen Kegel bestand, näherte sich rumpelnd dem Anhänger und koppelte ihn an. Durch den Anhänger ging ein Ruck, und er setzte sich in Bewegung. Der Marsch auf den pumpenden Beinen mit dem Umfang eines Menschen verlief erstaunlich ruhig. Mandala wanderte durch Nacht und Wind.
    Am nächsten Morgen hatten sie ihr Ziel erreicht.
    Jeshua lüpfte das Verdeck des Anhängers und sprang in den Matsch. Er hatte auf dem Marsch kaum geschlafen, sondern darüber nachgedacht, was geschehen war und was er erfahren hatte. Er verspürte keine Demut und Scham mehr.
    Er betrachtete die Städte nun nicht mehr als verlorene Paradiese. Sie kamen ihm jetzt irgendwie selbstgefällig vor. Sie waren selbst nicht perfekt. Er spuckte in den Schlamm.
    Aber die Stadt hatte ihn wieder geheilt. Wem hatte er das

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